Gelsenkirchen. Blinde und Sehbehinderte haben es besonders schwer, sich an die Corona-Abstandsregeln zu halten. Betroffene bitten um Rücksicht und Verständnis

Schlange stehen, Maske tragen, Abstand halten. Die Corona-Pandemie verlangt den Menschen viel Disziplin ab. Für stark Sehbehinderte oder Blinde allerdings werden diese Auflagen seit Wochen zum echten Problem. „Sie stehen in der falschen Schlange an, landen im Lottoladen, anstatt für die kurze Mittagspause im Imbiss“, schildert Wolfgang Liffers (58), Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins. Auch angegiftet werde manch einer, weil es schwierig sei, Abstand zu halten.

Verein: Viele Menschen nehmen keine Rücksicht auf Sehbehinderte

„Die Hauptschwierigkeit ist, die Abstandsregeln zu Menschen einzuhalten, die man kaum oder gar nicht sieht“, erklärt Liffers. Sein Verein beklagt: Menschen mit Sehbehinderung trifft das Virus deshalb mit besonders großer Wucht. Denn viele Menschen würden keine Rücksicht nehmen, wenn sich in diesen Zeiten Blinde oder stark Sehbehinderte nicht orientieren können und dann deutlich zu nah neben anderen Menschen stehen. Dazu komme: Viele Betroffene seien ganz alleine unterwegs, oft ohne sehende Begleitung.

Auch interessant

Die Problematik, anderthalb bis zwei Meter Abstand zu halten, gebe es auch ganz gravierend in Bus und Bahn, so Liffers. „Viele steigen ja jetzt in diesen Zeiten aus Sicherheitsgründen auf den eigenen Pkw um und meiden den öffentlichen Nahverkehr“, sagt der Vereinsvorsitzende. Aber das sei für diese Gruppe der Menschen mit Behinderung natürlich nicht möglich. So sind also viele darauf angewiesen, mit Bus und Bahn zu fahren und auf dem ohnehin engen Raum auch noch die Abstandsregeln einzuhalten.

Blinde haben besonders große Probleme in Bus und Bahn

„Man will ja den Menschen nicht zu nahe kommen.“ Aber schon an den Haltestellen die Regeln einzuhalten, sei extrem schwierig. Auch in Bus oder Bahn gelinge das oft nicht, weil die Sehbehinderten oder Blinden nicht wissen können, ob neben einem freien Platz bereits jemand sitzt. Im Bus könne man zum Beispiel nur noch hinten einsteigen, damit der Fahrer geschützt ist. Daher bekomme man auch keine Tipps mehr, wo man sich hinsetzen kann.

Wo Betroffene Hilfe finden

Der G elsenkirchener Blinden- und Sehbehindertenverein hat nach eigenen Angaben etwa 140 Mitglieder. Aber es gebe weitaus mehr Menschen in der Stadt, die nur noch einen schwachen Sehrest haben, vor allem Ältere, sagt der Vereinsvorsitzende Wolfgang Liffers. Der volle Jahresbeitrag beträgt 96 Euro. Menschen, die in Heimen wohnen, zahlen die Hälfte.

Vier zertifizierte Berater hat der Verein, die Fachleute für Sozialrecht sind und sich auch mit Anträgen für Schwerbehindertenausweise auskennen. Zurzeit findet die Beratung in erster Linie telefonisch unter Tel. 0209/582277 statt. Auf dem Anrufbeantworter den Namen und die eigene Telefonnummer hinterlassen, man werde auf jeden Fall zurückgerufen, so Liffers.

Liffers appelliert in diesen Zeiten an die Menschen, Verständnis zu haben und freundlich zu sein. Man erkenne die Blinden und Sehbehinderten schließlich immer. Entweder sie haben den langen weißen Stock bei sich, der ihnen zur Orientierung dient, oder sie tragen die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen großen Punkten. Viele wüssten nicht, wie sie sich Blinden gegenüber verhalten sollen. Liffers Rat: „Man kann fragen, ob man helfen kann. Aber man muss dann auch die Antwort akzeptieren.“

Auch interessant

Ein Klassiker: Es komme tatsächlich nicht selten vor, dass hilfsbereite Menschen einen Blinden oder Sehbehinderten an den Arm nehmen und ihn über die Straße bringen. „Dann steht man auf der anderen Seite, wo man aber gar nicht hin will“, schildert der 58-Jährige die leidvollen Erfahrungen. Es helfe in jedem Fall – wie eigentlich immer – miteinander zu sprechen und einen freundlichen Umgang zu pflegen.