Gelsenkirchen. Ob die Abschiebung von Basir S. rechtens war, könnte ein Fall für die Justiz werden. Der Kernfrage: War sein Asyl ein Kirchenraum oder nicht?
Dem von Gelsenkirchen nach Dänemark überstellten Flüchtling Basir S. (wir berichteten), droht im Falle der bevorstehenden Abschiebung in sein Heimatland Afghanistan der Tod. Darauf wies sein Rechtsbeistand Steffi Hübner im Gespräch mit der WAZ hin. „Basir ist genau wie seine Eltern und sein jüngerer Bruder Farid bereits seit längerer Zeit zum christlichen Glauben konvertiert. Das allein macht ihn in seinem Heimatland schon zur Zielscheibe“, mahnt die Rechtsanwältin, die in der Eifel-Gemeinde Kall praktiziert.
Prüffall: Rechtliche Schritte gegen die Vorgehensweise der Stadt
Hübner prüft derzeit, rechtliche Schritte gegen die Stadt Gelsenkirchen einzuleiten. Diese habe mit der Abschiebung nach Dänemark zwar geltendes Recht umgesetzt. Denn Dänemark war das EU-Erstaufnahmeland von Basir (25) und seiner Familie und ist damit auch für das Asylverfahren zuständig. Wo sich die Stadt Gelsenkirchen jedoch angreifbar gemacht habe, sei die Art und Weise der Abschiebung gewesen. „Durften die Mitarbeiter der Ausländerbehörde das Gebäude und die Wohnung überhaupt betreten, um dort eine Abschiebung vorzunehmen?“, stellt die Rechtsanwältin die entscheidende Frage. Denn die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Am Spinnweg in Buer bleibt bei ihrer Darstellung, dass es sich bei dem Dachgeschoss-Appartement um ein Gemeindebüro und damit einen kirchlichen Raum gehandelt habe. Damit hätte die Stadt einen Bruch des Kirchenasyls begangen.vorwurf- stadt gelsenkirchen hat kirchenasyl gebrochen
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Das Ökumenische Netzwerk „Asyl in der Kirche“ kritisierte in diesem Zusammenhang, dass dieser Fall die erste gewaltsame Auflösung eines Kirchenasyls in NRW seit 2016 darstellen würde. Damals habe es einen vergleichbaren Fall in Münster gegeben. Dabei gelte seit 1995 eine Verabredung mit der NRW-Landesregierung, dass Kirchenasyle respektiert und nicht behördlicherseits gebrochen werden sollen. Das Netzwerk kritisiert zudem die Trennung der Familie und spricht von einem Tabubruch.
Eltern und Bruder von Basir dürfen vorerst in Gelsenkirchen bleiben
Die Asylverfahren von Basirs Eltern und seinem jüngeren Bruder werden nun nicht mehr in Dänemark, sondern in Deutschland geprüft und entschieden. Weil sie sich sechs Monate im Kirchenasyl aufgehalten haben und weil sie in dieser Zeit von Deutschland nicht nach Dänemark überstellt wurden, wechselt die Prüfung ihres Verfahrens hierhin. Deshalb dürfen sie vorerst in Gelsenkirchen bleiben.
Die Stadt entgegnet, dass es keine gewaltsame Auflösung gegeben habe. Die Mitarbeiter der Ausländerbehörde hätten am vergangenen Montagmorgen gegen 5 Uhr angeklingelt. Basir S. hätte den vier Männern die Wohnungstür geöffnet und sei nach erfolgter Aufforderung „freiwillig und ohne Anwendung von körperlichem Zwang mitgekommen“, schildert ein Stadtsprecher die Sichtweise der Ausländerbehörde. Für sie sei das Appartement eindeutig kein kirchlicher Raum gewesen. Der Familienname von Basir stand auf Klingel und Briefkasten, zudem gehören Kochnische, Toilette und ein Bett wohl nicht in ein Gemeindebüro, so die Stadt.
Mindestens 678 Menschen bekamen kirchliches Asyl in 2019
Nach Angaben der Ökumenischen Netzwerks „Asyl in der Kirche“ gab es Ende 2019 bundesweit 425 bekannte aktive Kirchenasyle mit mindestens 678 Personen, davon 147 Kinder. 382 der Kirchenasyle sind den Angaben zufolge so genannte Dublin-Fälle.
Diese Menschen müssten von Deutschland aus eigentlich in jenes EU-Land überstellt werden, das sie zuerst aufgenommen hat, weil dort nach geltendem Recht das gesamte Asylverfahren läuft.
Dem widerspricht Pastorin Christine Schultze vehement. „Dies ist und bleibt ein kirchlicher Raum, in dem wir sonst gemeinsam beten und Gespräche mit Gemeindemitgliedern führen. Wir haben für Basir nur ein Bett und eine Kommode dort hineingestellt“, erklärt Schultze die zusätzliche Möblierung.
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Verwaltungsgericht beantwortet die Frage: Kirchenraum oder nicht?
Diese Frage „Kirchenraum oder nicht?“ könnte sich nun zum Knackpunkt entwickeln. „Das ist der rechtliche Hebel für uns, mit dem wir ansetzen wollen“, kündigte Rechtsanwältin Hübner an. Die konkreten Schritte benannte sie öffentlich noch nicht. Letztlich müsse ein Verwaltungsgericht entscheiden, ob es sich hier um einen kirchlichen Raum handelt und somit die Stadt Gelsenkirchen ein Kirchenasyl gebrochen hat, so Hübner.
Grundsätzlich stelle sich bei Betrachtung dieses Falles die Frage, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft derzeit entwickle, mahnt Rechtsanwältin Hübner. Und sie erinnert die Behörden nochmals daran, dass alle Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, im Vorfeld stets genau prüfen würden, wem sie da Schutz bieten. „Sie beschäftigen sich erst sorgfältig mit den Menschen und ihren Fluchtgründen, ehe sie zusagen“, sagt Hübner und fügt hinzu: „Es braucht aus meiner Sicht niemand Angst davor zu haben, dass sich da schwere Straftäter über das Kirchenasyl vor ihrer Abschiebung retten könnten.“
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