Gelsenkirchen. Das Bundesverfassungsgericht hat Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Gelsenkirchens Jobcenter reagiert.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das der Sanktionspraxis der Jobcenter im Hartz-IV-Leistungsbezug engere Grenzen gesetzt hat, kündigt das Gelsenkirchener Jobcenter (IAG) an, Betroffenen gegebenenfalls nachträglich Geld auszuzahlen. Sehr viele Langzeitarbeitslose in Gelsenkirchen werden vom Richterspruch allerdings nicht profitieren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte entschieden, dass Leistungskürzungen für Hartz-IV-Bezieher, die ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, zwar grundsätzlich verfassungskonform sind. Die im Sozialgesetzbuch verankerten Sanktionsregelungen seien jedoch in Teilen unverhältnismäßig und bedürften einer Neuregelung durch den Gesetzgeber (in 2020).

Oktober 2019: 1200 Menschen in Gelsenkirchen von Hartz-IV-Sanktionen betroffen

„Wir sind froh, dass wir jetzt Klarheit haben“, sagt IAG-Geschäftsführer Dirk Sußmann. Fördern und Fordern sei den Richtern zufolge weiterhin grundsätzlich möglich; Sanktionen ein Hilfsmittel, Menschen zur Mitwirkung bei der Rückkehr in Arbeit zu bewegen. Mit Stand Oktober 2019 waren in Gelsenkirchen 1200 Menschen von Sanktionen betroffen.

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Maximal sei eine Leistungskürzung in Höhe von 30 Prozent möglich, urteilte der Erste Senat (Az. 1 BvL 7/16). Auch kassierten die Karlsruher Richter die starre Regelung ein, dass eine von den Jobcentern verhängte Sanktion bislang per se für drei Monate galt. Es müsse möglich sein, die Zeit der Sanktion zu verkürzen, wenn ein Leistungsbezieher sein Verhalten ändere. Damit ist es nun möglich, verhängte Strafen umgehend zu stoppen. Auch sieht es das Bundesverfassungsgericht für erforderlich an, Härtefälle gesondert zu bewerten, auch bei Sanktionen von bis zu 30 Prozent.

Im nächsten Jahr wird es eine gesetzliche Neuregelung geben

„Wir verhängen derzeit keine Sanktionen“, sagt Dirk Sußmann zu aktuellen Handhabe. Er verweist zudem darauf, dass das Urteil seit dem 5. November gültig ist, die sonst übliche Übergangsfrist, die dem Gesetzgeber gewährt wird, entfällt damit. Das bedeutet, dass Betroffene umgehend zu viel abgezogenes Geld zurück erhalten. „Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg hat dazu eine Liste erstellt“, erklärt der IAG-Chef, „das Sanktionsstopp wird automatisch geändert.“ Heißt: Das Geld fließt sofort wieder zurück.

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Arbeitslose, die aktuell mit Abzügen von 60 oder 100 Prozent sanktioniert werden, bekommen ihre Sanktion auf 30 Prozent reduziert. Im nächsten Jahr wird es eine gesetzliche Neuregelung geben. Diese Sanktionspraxis gilt zunächst auch für unter 25-Jährige.

Bislang haben sich nur vereinzelt Betroffene gemeldet

In Gelsenkirchen sind 200 bis 250 Menschen aktuell mit Sanktionen belegt, bei denen mehr als 30 Prozent der Hartz-IV-Bezüge einbehalten worden sind. „Diese Menschen dürfen sich gerne bei uns melden“, sagt Dirk Sußmann. „Wir sind darauf vorbereitet, die Rückzahlung sofort persönlich auf den Weg zu bringen.“ Bislang hätten sich nur vereinzelt Betroffene gemeldet.

Hartz-IV-Sanktionen

Im Dezember 2018 waren es 900 Menschen in Gelsenkirchen, die mit Hartz-IV-Sanktionen belegt worden sind. Das ergibt eine Sanktionierungsquote von 2,5 Prozent. 80 Prozent von diesen 900 Betroffenen mussten Abzüge von zehn Prozent hinnehmen, jeweils zehn Prozent Abzüge von 30 Prozent und mehr.

Setzt man die im jüngst Oktober sanktionierten 1200 Hartz-IV-Bezieher ins Verhältnis zu den rund 35.000 arbeitsfähigen Leistungsempfängern in Gelsenkirchen, so lag die Sanktionierungsquote zuletzt bei 3,43 Prozent.

In den kommenden Tagen erwarten Dirk Sußmann und das IAG-Team genauere Ausführungsbestimmungen von der Bundesbehörde, wie und wann Sanktionen nach dem Richterspruch zu verhängen sind. In Gelsenkirchen beziehen rund 52.000 Menschen Hartz-IV-Leistungen, rund 35.000 davon gelten „als grundsätzlich arbeitsfähig“.

Leistungen für diese Menschen machen einen großen Posten aus. In der Summe sind es jährliche Aufwendungen von 245 Millionen Euro – 115 Millionen Euro für die Kosten der Unterkunft sowie 130 Millionen Euro für Kosten des Lebensunterhaltes. Sußmann betont zum Abschluss: „Wir sind ausführende Behörde, dem Gesetz verpflichtet, das wir umsetzen müssen. Wir wollen niemandem das Geld wegnehmen.“