Gelsenkirchen. Die Organisatoren der Gelsenkirchener Fridays-Bewegung sehen erste Erfolge der Proteste, sich aber lange noch nicht am Ziel. Ein SommerGEspräch.

Vincent Skrok (18), Charlotte Sender (18) (beide am Schalker Gymnasium) und Jan Bretinger (17) (Gauß ) zählen zum harten Organisationsteam der Fridays-for-Future-Gruppe Gelsenkirchen. Wir sprachen mit ihnen über ihr Engagement, die Schule und Reaktionen in Familie und Freundeskreis.

Wie war das Zeugnis?

Vincent: Gut. Durchschnitt 1,8 oder so. Damit gehe ich jetzt ins Abitur. Die 30 Fehlstunden wegen Fridays for Future sind entschuldigt.

Jan: Ich hab mein Abi mit 1,4. Ist ganz gut gelaufen. Unterricht hatte ich im Abitur ja sowieso kaum noch, von daher waren Fehlstunden kein Problem.

Charlotte Bei mir war es auch gut, ich gehe mit einem Durchschnitt von 1,6, ins Abitur. Ich musste kaum schwänzen, weil ich da sowieso keinen Unterricht hatte.

Ihr zählt zu den Aktivsten hier in der Fridays-Bewegung. Was war euer „Erweckungserlebnis“?

Vincent Ich war ohnehin politisch interessiert, hatte mich auch schon über Klimawandel informiert, wusste, dass da vieles falsch läuft. Als dann die Fridays-Bewegung kam, hab ich gedacht, da engagiere ich mich, da kann man was bewegen, das versackt nicht im Nichts. Wenn man einmal drin ist im Engagement, dann rutscht man immer weiter rein.

Charlotte Ich hatte das nicht über Social Media mitbekommen, da bin ich kaum noch aktiv, sondern über die SV (Schülermitverwaltung), wo Vincent und Elisa das Thema reingebracht haben.

Weiterhin getrennt von der Rebell-Gruppe

Auch eine zweite Gruppe um die MLPD-Jugendgruppe „Rebell“ lädt regelmäßig zu Klimaschutzdemonstrationen auf dem Heinrich-König-Platz ein und nennt sich „Fridays for Future“.

Da sie jedoch nicht auf Antikapitalismuskritik und Parteienlogos bei Demonstrationen verzichten mögen, arbeitet die hier vorgestellte Gruppe um Vincent, Charlotte und Jan getrennt von ihnen. Auch die offizielle Fridays-Organisation für Deutschland erkennt nur die Gruppe um das Trio als Fridays Gelsenkirchen an.

Das Organisationsteam und Interessierte treffen sich jeden Dienstag ab 18 Uhr (in den Schulferien ab 17 Uhr) im Bildungszentrum an der Ebertstraße. Die Parents for Future Gelsenkirchen treffen sich dienstags ab 19 Uhr im Alfred-Zingler-Haus, Margaretenhof 10. Info über facebook.com/FfFGE/ und Instagram.com/fridaysforfuture.ge/

Man triggert sich da gegenseitig?

Jan Ja, das ist auch das Beste. Ich hatte zwar auch über die Zeitung von der Friday-Bewegung gehört, aber wenn man von Freunden angesprochen wird, ob man mitmachen will, ist das noch überzeugender. Es gut zu finden ist eine Sache, wirklich hingehen tut man aber eher, wenn es auf der persönlichen Ebene läuft.

Vincent Was man in der Schule lernt, reicht meist nicht, um Leuten wirklich vor Augen zu halten, wie katastrophal der Klimawandel ist.

Jan Ich wusste wohl schon Einiges, weil ich auch schon länger bei „Plant for Planet“ aktiv bin. Auch dank einem engagierten Erdkundelehrer.

Wie kommt euer Engagement bei den Mitschülern an?

Vincent Die meisten sagen, find ich gut, aber ich habe keine Zeit dafür.

Jan Das ist noch mal ein Sprung von „Ich hab das Thema im Blick“ zu „Ich engagiere mich“. Das hängt auch vom Typ ab, ob man sich traut, auf Demos laut Parolen zu rufen.

Werdet ihr auf Demos auch schon mal angefeindet?

Jan Ja, es kommt vor, dass Leute sagen, das stimmt doch alles nicht mit dem Klimawandel, völlig übertrieben. Da haben wir schon anderthalb Stunden mit jemanden diskutiert. Oft heißt es: Ist wichtig, aber es gibt auch andere wichtige Themen.

Jan Schlimmer ist es auf Facebook, die Kommentare sind oft gar nicht überlegt sind.

Charlotte Aber es gibt auch viele Erwachsene, die uns unterstützen. Bei vielen Erwachsenen, die finden, dass die Fridays eine gute Sache sind, ist noch nicht angekommen, dass sie auch mitmachen können. Das muss keine reine Schülerbewegung bleiben, kann auch generationenübergreifend weitergehen.

Vincent Ja, es gibt hier ja auch eine Parents-for-Future-Gruppe, die wirklich sehr aktiv ist. Aber manchen schreckt es auch ab, wenn die Gruppe zu aktiv ist, dann glauben sie, sie müssten sich genauso viel engagieren. Dabei ist das gar nicht so. Da kann jeder soviel machen, wie er kann oder will, auch bei uns.

Wie viele Stunden investiert ihr in der Woche für die Fridays?

Jan

Die erste Kundgebung in Gelsenkirchen startete am 15. März auf dem Heinrich-König-Platz.
Die erste Kundgebung in Gelsenkirchen startete am 15. März auf dem Heinrich-König-Platz. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Schwer zu sagen. Fünf Stunden plus x. Ganz viel x. Wir sind ja bei Demos nicht nur in Gelsenkirchen aktiv, sondern fahren auch nach Recklinghausen, Bochum oder zu Großaktionen in Aachen oder Essen gegen RWE. Dann sind da Gespräche mit Politikern, Institutionen. Aber die meiste Zeit frisst die Organisation.

Vincent Ja, und das Reden schreiben – eigentlich alles. Ich denke ständig über Fridays und Klimaschutz nach, das ist immer präsent in meinem Kopf.

Jan Aber Vincent ist echt kein Maßstab. Wer sich engagieren möchte, egal wie viel, ist herzlich willkommen bei den Treffen.

Fliegt ihr in den Urlaub?

Vincent Nein, ich bin bisher nur zweimal geflogen. Aber ich denke, solange man alles in Maßen macht, ist das ok. Wenn ich alle paar Jahre mal fliege geht das schon.

Jan Wer auch andere Kontinente kennenlernen, eine andere Perspektive auf die Welt bekommen möchte, hat keine Alternative. Greta Thunbergfährt zwar jetzt mit dem Schiff, aber die Zeit hat ja kaum jemand. Es wäre zu radikal, das generell zu verbieten. Aber man muss nicht ständig und vor allem keine kurzen Strecken fliegen. Verbote sind nicht der richtige Weg. Fliegen muss teurer werden.

Charlotte Es müssten aber auch Zug und öffentlicher Nahverkehr viel günstiger werden. Die dürfen nicht teurer sein als ein Flug.

Vincent Wenn man sich nicht kostengünstig durch Deutschland bewegen kann, sind Verbote oder Kontingente keine Lösung. Man muss die bezahlbaren Alternativen schaffen. Wir haben das ja auch bei unseren Fahrten zu Demonstrationen gemerkt. Zugfahren ist viel zu teuer.

Jan Ja, aber die Preisschraube funktioniert in der Regel. Sieht man ja auch bei Plastiktüten. Seit die was kosten, werden sie weniger genutzt.

Was wollt ihr beruflich machen?

Vincent Ich möchte Psychologie oder Sozialwissenschaft studieren.

Charlotte Psychologie, auch Neurobiologie wäre interessant. Nach dem Abi mache ich erst ein Freiwilliges Soziales Jahr, am liebsten in Afrika.

Jan Tatsächlich etwas in Richtung Umwelt, vielleicht Meeresbiologie oder etwas mit erneuerbaren Energien. Nach den Ferien mache ich jetzt ein Praktikum im Wissenschaftspark in dem Bereich.

Hat die Friday-Bewegung schon etwas erreicht?

Charlotte

Vom Bahnhofsvorplatz aus ziehen die Demonstranten der Fridays zum Heinrich-König-Platz – hier ein Bild von der Demo am 31. Mai.
Vom Bahnhofsvorplatz aus ziehen die Demonstranten der Fridays zum Heinrich-König-Platz – hier ein Bild von der Demo am 31. Mai. © Funke Foto Services GmbH | Joachim Kleine-Büning

Es haben bei der Europawahl sehr viele die Grünen gewählt.

Jan Abgesehen von Parteien: Das Thema steht jetzt für viele ganz oben.

Vincent Und wir haben den Klimanotstand für Gelsenkirchen, der dem Thema hohe Priorität einräumt. Das ist schon auch unser Verdienst. Da kann man die Politik bei Planungen drauf festnageln.

Jan Nur das politische Vorgehen war nicht korrekt. Von dem neuen Entwurf von SPD und CDU, bei dem die höchste Priorität rausgenommen wurde, wusste niemand vor der Ratssitzung. Das ist nicht gut.

Könnt ihr euch vorstellen, in die Politik zu gehen?

Charlotte Nein, ich möchte mich nicht auf eine Partei festlegen. Mich einer Bewegung anzuschließen, deren Thema mir wichtig ist, finde ich besser.

Jan Ich hatte jetzt einige Begegnungen mit Politikern, da hab ich hinterher meist gedacht: nein. Ganz unabhängig von der Partei. Langfristig kann ich mir vorstellen, dass ich mich einbringe, als sachverständiger Bürger. Aber in näherer Zukunft ist das nichts für mich. Die Prozesse ziehen sich so lang. Wir sind jetzt für den Jugendrat angesprochen worden. Das wäre ein Idee, sich das Ganze anzuschauen.

Wie kann man das Klima retten? Mit Verboten, Verzicht? Mit technischen Lösungen?

Jan Es kommt drauf an. Bei Plastik kann man mit Verboten arbeiten, bei anderem nicht. Das hängt vom Fall ab.

Charlotte Verzicht bedeutet eben, dass man auf etwas verzichtet, was man eigentlich gerne konsumiert. Verzicht gehört eben dazu, muss aber nicht in jedem Punkt radikal sein.

Vincent Wenn wir merken, der freiwillige Verzicht funktioniert nicht, muss man darüber nachdenken, wenn es die einzige Möglichkeit ist.

Jan Ich finde, das Zitat „Um das Mögliche zu erreichen, muss man das Unmögliche fordern“ passt gut.

Vincent Wir brauchen ein Klimaschutzkonzept für die Welt, aber wir haben noch nicht einmal ein funktionierendes für Deutschland. Was ganz schön traurig ist.

Jan Wir haben ein Klimaschutzabkommen, aber nicht einmal wir halten uns daran. Manche sagen, es nutzt nichts, wenn nur Deutschland etwas tut. Aber wenn wir vorangehen und zeigen, seht mal, es geht, dann kann das auch andere motivieren. Zumal skandinavische Länder schon viel weiter sind.

Charlotte Manches Unternehmen mag drunter leiden, wenn die Regeln schärfer werden. Aber da muss man das große Ganze sehen.

Wie lange wird es noch Friday-Demonstrationen geben?

Jan Schwer zu sagen. Es geht ja nicht nur um Demonstrationen, sondern auch andere Aktionen. Die Aufmerksamkeit für das Thema ist da, jetzt geht es um die Umsetzung. Wir werden jetzt auch im Klimabeirat der Stadt sitzen. Wir haben die Basis geschaffen, dass man uns kennt. Jetzt geht es darum, es umzusetzen.

Vincent Ein Konzept zu entwickeln, das wäre zuviel von uns verlangt. Die Hauptforderung der Fridays ist, dass die Politik ein Konzept entwickelt. Da müssen wir dranbleiben.