Gelsenkirchen. Gelsenkirchen hat einen neuen, traurigen Rekord. 239 Sechst- bis Achtklässler sollen ihre Gymnasien und Realschulen im Sommer verlassen.

Mehr als jedes sechste der 610 Kinder, die im Sommer 2016 an einem Gelsenkirchener Gymnasium als Fünftklässler begannen, muss zum nächsten Schuljahr voraussichtlich an eine andere Schulform wechseln: 105 Kinder reichen die Gymnasien am Ende dieses Schuljahres nach ihrer Einschätzung kurz vor den Zeugniskonferenzen weiter. Der Volksmund nennt das Abschulung.

Kommunalpolitiker schockiert wegen der Zahlen

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© funkegrafik nrw | Selina Sielaff

Bei Realschulen sieht es kaum besser aus: 48 von 329 Fünftklässlern aus dem Jahr 2016 werden wohl gehen müssen, jeder Siebte. Insgesamt werden es nach jetzigem Stand kurz vor den Zeugniskonferenzen 239 Kinder sein, die ihre Schule verlassen müssen, inklusive jenen, die nach Klasse sieben oder acht erst wechseln: Das sind fast 100 mehr als im Vorjahr. Diese Zahlen schockierten am Donnerstag die Mitglieder des Bildungsausschusses in dessen letzter Sitzung vor den Ferien.

Dabei ist es nicht so, dass die Schulen im Vorfeld Alarm geschlagen hätten wegen der dramatischen Zahlen, die die Dezernentin Annette Berg „eine drohende Bildungskatastrophe“ nennt. Die Verwaltung hat die Schulen einzeln abtelefoniert, um planen zu können. Denn möglicherweise werden die Kinder wie schon im Vorjahr abgehen müssen ohne sofort zu wissen, an welcher Schule es für sie weitergehen wird. Die siebten und achten Klassen der Gesamt- und Hauptschulen platzen aus allen Nähten. Sie müssen Mehrklassen bilden, um Internationale Förderschüler in Regelklassen überführen zu können.

Für bisherige Realschüler kann es eng werden

Viele der Gymnasiasten werden Chancen haben, an Realschulen unterzukommen, wo ja auch eine erhebliche Zahl an Plätzen frei wird durch deren „Bildungsformwechsler“, wie es freundlich im Amtsdeutsch umschrieben ist. Für die bisherigen Realschüler aber wird es mehr als eng, wenn bei den Zeugniskonferenzen nicht deutlich umgeschwenkt wird. Bei den aktuellen Zahlen fällt erneut auf, dass der Anteil der Gymnasiasten, die gehen müssen, im Süden deutlich höher als im Norden ist. 36 Sechstklässler sind es bei den Gymnasien im Norden, 69 im Süden. Zwar gibt es im Süden ein Gymnasium mehr; aber die Schülerzahl ist durchaus vergleichbar. 36 Sechstklässler sollen allein vom Ricarda-Huch-Gymnasium abgehen.

Bildungsverwaltung will jetzt Ursachenforschung betreiben

Referatsleiter Klaus Rostek und Dezernentin Annette Berg wollen sich nicht mit den Zahlen abfinden, sondern nach den Ursachen forschen.
Referatsleiter Klaus Rostek und Dezernentin Annette Berg wollen sich nicht mit den Zahlen abfinden, sondern nach den Ursachen forschen. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Das Bildungsreferat will es nun aber nicht bei Überlegungen belassen, wie all die „Bildungsformwechsler“ künftig beschult werden können. „Wir wollen jetzt mit allen Schulen sprechen, genau analysieren, wie es dazu kommen konnte, damit wir nicht jedes Jahr erneut vor dem Problem stehen“, kündigt Referatsleiter Klaus Rosteck an. Ein Ansatz, den die Politiker im Ausschuss unisono begrüßten.

An Kultur des Behaltens erinnern

Markus Karl, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, formulierte klar: „Wir müssen die Schulen an die Kultur des Behaltens erinnern und die Gymnasien kritisch überprüfen. Vergleichen, ob sie nicht in der Einführungsphase besser fördern könnten, wie die Gesamtschulen es tun. Wir sollten aber auch abfragen, welche Empfehlung der Grundschule die Kinder hatten, die nun gehen sollen.“

David Fischer, Sprecher der Grünen im Ausschuss, sieht – wie Lothar Jacksteit (CDU) – auch die dramatische Lehrer-Unterbesetzung an Grundschulen als eine mögliche Ursache, die die Chancengleichheit in der weiterführenden Schule nicht eben verbessere und die Arbeit von Gymnasien in entsprechenden Schul-Einzugsgebieten erschwere.

Ulrich Jacob (SPD) ging noch weiter: „Wir müssen auch fragen können, ob manches Gymnasium nicht auch Kinder aufnimmt, um selbst zu überleben.“ Auch der Wille zu Selektion war ein Thema. Die bindende Grundschulempfehlung allerdings wolle wohl niemand zurück, betonte Jacob. Das läge ohnehin jenseits der Macht der Kommunalpolitiker.

Gleiche Schule, anderes Abschlussziel

Was aus den 12 bis 14-Jährigen wird, die nach den Ferien nicht mehr an ihrer Schulform lernen dürfen, weil ihre Leistungen nicht ausreichen dafür – das weiß indes noch niemand. „Die siebten und achten Klassen der Gesamtschulen sind voll, der Hauptschulen ebenfalls. Wir müssen schon Mehrklassen bilden für Internationale Förderschüler und Klassen teilen. Was wir machen: Wir wissen es noch nicht,“ kündigt Dezernentin Annette Berg an.

Denkbar wäre wohl auch, diese Schüler an ihrer bisherigen Schule in einer eigenen Klasse mit anderem Abschlussziel zu unterrichten. Genügend Kinder dafür gäbe es bei mancher Schule. . .