Gelsenkirchen. . Ein Herz aus Gummi, ein Zauberstab oder ein skurriler Dudelsack: In der MiR-Requisite in Gelsenkirchen die Oper „Schwanda“ ausgestattet.

Auf dem Tisch liegt eine Leiche. Splitterfasernackt ist sie und weiß wie die Wand. Der Kopf fehlt auf dem blutig ausgefransten Hals. Thorsten Böning aber gruselt der verstümmelte Leichnam nicht. Resolut räumt er den Toten vom blutverschmierten Tisch und packt stattdessen ein Herz aus Gummi drauf. Der 57-Jährige ist der Herr der Requisiten in der Werkstatt des Musiktheaters im Revier und bereitet derzeit die Zutaten für die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ vor. Den toten griechischen Prinzen inklusive.

Reichlich technische Tüftelei

Vera Keitmeier arbeitet in der Requisite. Pergamentrollen und ein Federkiel gehören zur Ausstattung für die Oper Schwanda.
Vera Keitmeier arbeitet in der Requisite. Pergamentrollen und ein Federkiel gehören zur Ausstattung für die Oper Schwanda. © Funke Foto Services GmbH | Joachim Kleine-Büning

„Schwanda ist eine der aufwendigsten und für uns anspruchvollsten Produktionen der laufenden Spielzeit“, sagt der Leiter der Requisite. Und freut sich auf die spannende Herausforderung. Die zauberhafte Märchenoper von Jaromir Weinberger, 1927 in Prag uraufgeführt, feiert am 15. Juni im Großen Haus des MiR in einer Sicht des niederländischen Regisseurs Michiel Dijkema Premiere. Eine augenzwinkernd komödiantische Volksoper, die den Handwerkern in den Werkstätten jede Menge fantastischen Bühnenzauber und reichlich technische Tüftelei abverlangt.„Aber genau diese Herausforderung macht den Reiz unseres Berufes aus“, verrät Thorsten Böning, der seine nunmehr zehnte Spielzeit in Gelsenkirchen bestreitet und zuvor ein Engagement am Landestheater in Tübingen hatte. Von Haus aus ist Böning Handwerker, wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen.

Zunächst ein Handwerk erlernt

Er erlernte den Beruf des Schlossers, andere haben eine Ausbildung als Schreiner, Maler oder als Grafikdesigner absolviert. Und wichtig ist vor allem die Freude am Theater und an der Technik. Böning: „Wir sind kreative Handwerker. Wir denken uns die Sachen zwar nicht selbst aus, wir setzen aber die Ideen der anderen um.“Mit jeder neuen Inszenierung muss sich die siebenköpfige Abteilung auf ein unbekanntes Abenteuer einlassen. Zumeist auch auf neue Menschen, auf Gast-Regisseure, Bühnen- und Kostümbildner.

Michiel Dijkema, gleichermaßen für die Regie und das Bühnenbild verantwortlich, inszenierte bereits mehrfach am MiR („Die Zauberflöte“, „Hoffmanns Erzählungen“. Man kennt sich, man verlässt sich aufeinander.

Leinensäcke und eine filigrane Rohrkonstruktion

Zum Beispiel darauf, dass Schwanda spätestens am Premierenabend den perfekten Dudelsack vor dem Bauch tragen wird. Denn noch probt das Ensemble mit einem Versuchsexemplar. Böning hebt das schwere Instrument hoch. Ein Monstrum aus genähten Leinensäcken und einer filigranen Rohrkonstruktion. „Die haben wir aus einem zerschnittenen Hula Hoop-Reifen gebaut.“ Das spätere Bühnenexemplar wird aus Aluminium hergestellt. Alles genau nach Maß. Thorsten Böning wirft einen Blick auf die von Kostümbildnerin Jula Reindell gezeichnete Figurine des Bauern Schwanda mit seinem Dudelsack. Mit der magischen Musik dieses Instruments, gespielt von der Neuen Philharmonie Westfalen, wird die Titelfigur der Oper, am MiR verkörpert von Piotr Prochera, die kalten Herzen der Menschen erwärmen. Auch das der verzauberten Eiskönigin (Petra Schmidt).

Vom Trödelmarkt ins Internet

„Früher“, erzählt Thorsten Böning, „war ich ständig auf Flohmärkten unterwegs, um passende Schätzchen für die Bühne zu finden, heute entdecke ich das meiste im Internet.“ Oder im großen Fundus des Opernhauses. Hier stieß der Werkstattmeister nun auf einen mächtigen Holzstock, der 2011 als Requisite in der Oper „Merlin“ diente. Jetzt kommt er in „Schwanda“ als Zauberstab zu neuen Ehren, inklusive eines neuen Eisblocks aus Plastikwürfeln, den der Magier zum Leuchten bringen kann.

Das Herz am rechten Fleck

Blutrot: Volontärin Vera Keitmeier mit dem künstlichen Herz, das für die MiR-Oper gefertigt wurde.
Blutrot: Volontärin Vera Keitmeier mit dem künstlichen Herz, das für die MiR-Oper gefertigt wurde. © Funke Foto Services GmbH | Joachim Kleine-Büning

Requisiteurin Vera Keitmeier (32) probiert’s schon mal aus. Sie ist ebenso wie ihre Kollegen nicht nur für den Bau der Bühnenstücke zuständig, sondern auch dafür, dass die Dinge während der Vorstellung am richtigen Platz liegen: „Und zwar auf den Millimeter genau.“ Böning nickt: „Der Sänger muss sich blind darauf verlassen, dass er zum Beispiel das Herz am rechten Fleck findet.“ Zwei bis drei Requisiteure stehen während jeder Vorstellung hinter den Kulissen bereit.

Thorsten Böning hievt die Leiche wieder auf den Tisch. Denn sie bleibt nicht nackt, sondern bekommt nun für die Vorstellung noch ein überaus prächtiges Kostüm.

>>> Eine musikalische Neuentdeckung

Die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ kommt erstmals als musikalische Neuentdeckung auf die Bühne des Musiktheaters im Revier. Nach der Premiere am 15. Juni gibt es weitere Vorstellungen am 22. und 27. Juni, am 5. und 7. Juli.

Die musikalische Leitung hat Giuliano Betta. Gesungen wird in deutscher Sprache.