Gelsenkirchen. Im Musiktheater im Revier wird für die Uraufführung der Oper „Simon, das Findelkind“ geprobt. Es ist eine Geschichte um eine allumfassende Liebe, um Hoffnung und Toleranz.
Wenn „Simon, das Findelkind“ am 29. Mai im Musiktheater im Revier Premiere feiert, dann kommt das Publikum in einen seltenen Genuss: Es erlebt die Geburt einer neuen Oper, eine Uraufführung. Das Stück über ein Findelkind stammt aus der Feder der serbischen Komponistin Isidora Žebeljan, für die Inszenierung und die Bühne zeichnet der Niederländer Michiel Dijkema verantwortlich. Mit Komponistin und Regisseur sprach in einer Probenpause WAZ-Redakteurin Elisabeth Höving.
Frau Žebeljan, was hat Sie zu Ihrer nunmehr fünften Oper inspiriert?
Zebeljan: Nun, es war zunächst das alte traditionelle serbische Volksgedicht „Simon der Findling“. Aber auch Thomas Manns Novelle „Der Erwählte“. Beides ist genau der gleiche Stoff, der sich schließlich schon im Alten Testament in der Josef-Geschichte findet.
Was reizt Sie an dieser alten Erzählung?
Simon ist für mich der Auserwählte, eine Rolle, die mir sehr gefällt.
Was kann die Geschichte den Menschen von Heute geben?
Sie zeigt, wie jemand mit den Problemen und Schwierigkeiten des Lebens, in das er hinein geworfen wird, umgeht, darum, wie so jemand sich das Lachen, die Hoffnung, die Freundlichkeit bewahrt. Simon wird mit so vielen Sorgen konfrontiert, aber er bleibt auf der guten Seite, auch dank seiner spirituellen Größe. Simon ist eine Geschichte um eine allumfassende Liebe, um Hoffnung und Toleranz. Und damit bis heute sehr wichtig.
In welche Musik haben Sie die Geschichte umgesetzt?
Es ist eine Mischung aus traditioneller Musik und ganz moderner, sie ist poetisch, aber auch sehr expressiv. Alles wechselt dabei sehr schnell, die Stimmung, der Rhythmus. Es handelt sich nicht um Filmmusik, aber die Komposition hat die Struktur einer Filmmusik, die Bilder wechseln in hohem Tempo, die Musik mit ihnen. Musik, das ist für mich Energie.
Viele Zuhörer fürchten sich vor zeitgenössischer Musik. Wie schwierig ist der Zugang zu Ihrer Musik?
Ich schreibe tonale Musik, aber nicht sehr gewöhnliche. Meine Sprache ist schon eine sehr spezielle, die unter anderem vom Rhythmus lebt. Bewegung in der Musik ist mir sehr wichtig, ich liebe es, wenn meine Musik tanzt. Um einen noch besseren Zugang zu bekommen, lohnt es sich auf jeden Fall, einfach mehrfach in diese Oper zu kommen (lacht).
Es spielt ein klassisches großes Sinfonieorchester?
Ja, der Orchestergraben wird mit der Neuen Philharmonie Westfalen gut besetzt sein. Daneben musiziert noch eine fünfköpfige Balkan-Banda auf klassischen und traditionellen Instrumenten, die die Musiker sehr, sehr schnell wechseln müssen.
Wann haben Sie mit der Arbeit an Simon begonnen?
Die erste Idee stammt bereits aus dem Jahre 2009. Damals habe ich für die „Einbaumoper“ in Gelsenkirchen einen Beitrag komponiert. Daraus erwuchs im Gespräch mit dem Intendanten Michael Schulz die Idee für eine Oper und ich bekam den Auftrag. Das komplette Werk wuchs in den letzten zwei Jahren.
Sie gründeten eine Art Kreativwerkstatt gemeinsam mit dem Librettisten und dem Regisseur?
Genau, das Libretto schrieb mein Mann Borislav Cicovacki, das hat es an vielen Stellen leichter gemacht, aber es gab dabei natürlich auch Ehestreitigkeiten (lacht).
Woran arbeiten sie zurzeit noch?
Im Herbst kommt meine zweite CD mit dem Brodsky-Quartett auf den Markt, ich schreibe an einem Klarinettenkonzert und an der nächsten Oper.
Herr Dijkema, wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Regie und Notensetzerin vorstellen?
Wir haben uns zum ersten Mal vor zwei Jahren in Amsterdam zusammengesetzt, dann immer wieder getroffen. Es ist Work in Progress. Man diskutiert, tauscht sich aus. Dank des Internets konnte ich aber auch zwischendurch kurzfristig fertige Partiturteile bekommen.
Was hat Sie nun an diesem Opern-Auftrag gereizt?
Nun, ich kannte bereits einige Stücke von Isidora Žebeljan, das ist einfach eine ganz großartige Musik, da habe ich schnell Bilder im Kopf. Ich habe allerdings noch nie eine Uraufführung auf die Bühne gebracht, habe mir das aber schon lange gewünscht. Normalerweise kann man Komponisten ja nicht mehr fragen, wie sie sich dieses oder jenes vorgestellt haben. Hier ist alles neu, es gibt keine CD, die man sich vorher anhören kann. Und weil es eine sehr schwierige Musik ist, muss ich da schon tüchtig arbeiten.
Wie empfinden Sie die Musik?
Das ist echte Theatermusik, sehr erzählerisch und extrem reich an Kontrasten, mit witzigen Momenten, was sehr schwer musikalisch umzusetzen ist, aber auch religiösen Momenten, mit solchen Momenten, die tief berühren.
Auch eine szenische Herausforderung?
Auf jeden Fall! Da muss ganz Serbien auf die Bühne gebracht werden, Flüsse, Fabriken, Wohnungen, Wälder. Das sind sehr opulente Bilder, die in sehr hohem Tempo wechseln. Das war eine echte Herausforderung für mich, da musste ich tüfteln. Es ist nun eine filmische Erzählweise in sehr hohem Tempo entstanden. Es wird fürs Publikum auf jeden Fall sehr viel zu sehen geben. Zuschauer brauchen ein schnelles Auge und ein schnelles Ohr. Das Bühnenbild wird eine Mischung sein aus Hyperrealismus und surrealen Anklängen.