Gelsenkirchen.. André Böker-Werner ist Sozialarbeiter beim Jugendamt Gelsenkirchen. Er hilft Familien mit Problemen. Wir durften ihn einen Tag begleiten.


Anja Caya (Name von der Redaktion geändert) hat im letzten Jahr im Frauenhaus Schutz vor ihrem gewalttätigen Ehemann gesucht. Ihre beiden Kinder haben miterlebt, wie ihr Vater ihre Mutter geschlagen hat. Mittlerweile lebt die Mutter in einer eigenen Wohnung in Gelsenkirchen.

Der achtjährige Max (Name geändert) ist seitdem in der Schule auffällig, übt Gewalt gegen seine Mitschüler und sich selbst aus. Seine Schwester, die 15-jährige Lea (Name ebenfalls geändert), möchte gut ein Jahr nach dem abrupten Auszug aus ihrem Zuhause wieder zurück zu ihrem Vater ziehen. Sie gibt ihrer Mutter die Schuld daran, dass sie aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen wurde.

Nach Gewaltausbrüchen das Jugendamt kontaktiert

„Bei Frau Caya kommt einiges zusammen“, sagt André Böker-Werner. Er ist als Sozialarbeiter des allgemeinen städtischen Sozialdienstes (ASD) für die Familie zuständig. Seit Max Klassenlehrerin wegen seiner Gewaltausbrüche das Jugendamt kontaktiert hat, besucht Böker-Werner die Mutter regelmäßig.Dabei hat er nicht nur ein offenes Ohr für ihre Probleme, sondern vermittelt auch zwischen Anja Caya und ihrem Ex-Mann, Max’ Schule, den Behörden und Psychologen.

Denn Max hat wegen eines Gendefekts eine Lernschwäche. Eine genaue Diagnose konnten Ärzte und Psychologen bislang noch nicht stellen. Der Grundschüler muss deshalb eine ganze Reihe an Untersuchungen über sich ergehen lassen. Nach einem stationären Krankenhausaufenthalt bekommt er starke Medikamente. Das beunruhigt seine Mutter zusätzlich.

Umgangsregelung mit dem Vater finden

„Ich bin eine starke Persönlichkeit, aber im Moment ist es viel“, sagt Caya und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sofort korrigiert sie ihr Make-Up. Die Frau, die als Erzieherin in einer Kita arbeitet, versucht, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen, denn gleich wird Max aus der Schule kommen.

André Böker-Werner ist als Sozialarbeiter bei der Stadt Gelsenkirchen angestellt. Sein Büro ist im Referat für Erziehung und Bildung.
André Böker-Werner ist als Sozialarbeiter bei der Stadt Gelsenkirchen angestellt. Sein Büro ist im Referat für Erziehung und Bildung. © Unbekannt | FUNKE Foto Services






Davor will André Böker-Werner zusammen mit seiner Kollegin, Sozialarbeiterin Karolin Salawa, einen Hilfeplan für die kommenden Monate mit ihr besprechen. Es gilt, eine Umgangsregelung mit dem Vater zu finden, die richtige Therapie für Max auszuwählen, die Wohnsituation der Tochter zu klären und die Mutter zu stärken. „Ziel ist, dass es langfristig ohne uns funktioniert“, sagt Böker-Werner.

Nicht alle Eltern reagieren positiv


Hilfe zur Selbsthilfe, das sei sein Job, so der Sozialarbeiter. Dass dieser Job emotional sehr aufwühlend sein kann, zeigen Fälle wie der von Anja Caya. „Weil das hochemotionale Krisensituationen sind, in denen wir dann drin sind.“ Und längst nicht alle Eltern reagieren so dankbar auf die Amtshilfe wie Caya. „Es ist für viele eine Hürde, sich uns zu öffnen“, erzählt Böker-Werner.

Denn nicht immer suchen Eltern selbst Hilfe. Oft würden Nachbarn, Bekannte oder Lehrer das Amt informieren, sagt Böker-Werner. Die Folge: Ein Sozialarbeiter stattet der Familie einen Kontrollbesuch ab. Gibt es in der Familie tatsächlich Probleme, greift dieser ein. Oft reiche es aus, vermittelnd tätig zu werden, so der Experte.. Manche Eltern nähmen, so wie Anja Caya, auch eine Erziehungsberatung in Anspruch.

Vermittlungsgespräche können zu Lösungen führen

Sind die Lebensumstände allerdings extrem schlecht, kann André Böker-Werner auch die Inobhutnahme eines Kindes anordnen. Das sei aber das letzte Mittel, wenn Kinder stark verwahrlost oder von Gewalt bedroht seien. „Bevor das gemacht wird, wird alles andere in Bewegung gesetzt“, betont er. Vermittlungsgespräche könnten auch in scheinbar ausweglos festgefahrenen Situationen durch die Moderation eines Außenstehenden oft zu Lösungen führen.

Hilfeplan sieht ein klärendes Gespräch vor

„Ich möchte nur, dass der Umgang mit meiner Tochter wieder so wird, wie er einmal war“, sagt Caya. Der Hilfeplan sieht deshalb ein klärendes Gespräch beider Elternteile zusammen mit der 15-Jährigen vor. Denn: „Sie ist in einem Alter, in dem sie sehr viel selber entscheiden kann“, wie Böker-Werner anmerkt. „Meine Tochter sucht gerade nur die Vorteile“, gibt ihre Mutter zu bedenken.

„Es gibt immer zwei Wahrnehmungen“, sagt Böker-Werner. Seine Aufgabe sei es, einen Kompromiss zu finden. Oft gelinge das auch. „Es gibt auch immer tolle Momente“, sagt der 30-Jährige. An diese erinnert er sich gern. Da gab es zum Beispiel diesen Jungen, der von seinem Vater misshandelt und deshalb in einer Pflegefamilie untergebracht wurde. Böker-Werner gelang es, dass Vater und Sohn trotz der Vorfälle in Kontakt blieben. „Von dem Jungen bekomme ich bis heute Postkarten aus dem Urlaub.“

Eltern sind verpflichtet, Sorge zu leisten

Solche Erlebnisse und eine Portion Idealismus helfen Böker-Werner in seinem Alltag. „Man muss sich aber im Klaren sein, dass man nicht die ganze Welt retten kann“, sagt er. Unbefriedigende Situationen hat er in seiner fünfjährigen Zeit beim Jugendamt in Gelsenkirchen selbst schon erlebt. „Das Gefühl, mehr machen zu müssen“, wie er es beschreibt. Eine Entscheidung bereut habe er jedoch noch nie. Denn am Ende gelte: „Eltern sind verpflichtet, Sorge zu leisten. Eine 24-Stunden-Überwachung durch das Jugendamt ist nicht möglich.“ Und das sei auch gar nicht das Ziel.

„Helfen, die wollen helfen“, sagt Anja Caya. „Und das tun sie auch.“ Als sie André Böker-Werner zum Abschied die Hand gibt, huscht ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht.

>> Hilfsangebote und Beratung

Das Jugendamt unterstützt und berät Eltern in Erziehungsfragen oder bei auftretenden Konflikten kostenlos. Außerdem unterstützten die Mitarbeiter das Familiengericht bei Sorgerechtsangelegenheiten.

Das Referat für Erziehung und Bildung hat seinen Sitz an der Zeppelinallee 9-13. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 8.30 bis 15.30 Uhr und Freitag 8.30 bis 12.30 Uhr.

Hier finden Eltern, Kinder und Jugendliche Hilfe:

ASD
0209 169-2464/ -4277
Kinderschutzbund: 0209 273050

Erziehungsberatungsstelle der Caritas
0209 1580650

Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern 0209 3806840

Notfall-Seelsorge Hotline für Kinder und Jugendliche 0800 111 0 333

Frauenhaus Gelsenkirchen 0209 20 11 00