Gelsenkirchen. . Zwei neugeborene Zwillingsbrüder, die im Juni starben, sind nach ihrem Tod vergessen worden. Erst Wochen später wurde das Ordnungsamt informiert.

Kinder zu bestatten, das ist selbst für erfahrene Seelsorger eine Herausforderung. Die beiden weißen Särge, vor denen Pfarrerin Zuzanna Hanussek am 25. Juli auf dem Hauptfriedhof stand, waren winzig, die Geschichte der toten Säuglinge tragisch: Zu früh geborene, namenlose Zwillinge, beide kurz nach der Geburt gestorben, von der Mutter einfach im Marienhospital Gelsenkirchen zurückgelassen.

Weder sie noch der Vater der Kinder waren auffindbar. Als wenn das nicht schon traurig genug wäre: Im Marienhospital hat man die toten Zwillinge vergessen!

Pfarrerin gab am Grab die Namen Gabriel und Raffael

Erst am 19. Juli – drei Wochen nach der Geburt des zweiten Jungen, wurde das Ordnungsamt informiert. Und wie immer in Fällen einsamen Sterbens von Menschen ohne Angehörige wurde das ökumenische Gespann Ralf Berghane (St. Hippolytus) und Zuzanna Hanussek gebeten, die toten Kinder beizusetzen. Hanussek übernahm die Aufgabe – und gab den Zwillingen am Grab Namen: Gabriel und Raffael. Gabriel kam am 25. Juni im Marienhospital in Ückendorf zur Welt, Raffael am 28. Juni. Laut Bestattungsrecht müssen Verstorbene aber spätestens zehn Tage nach dem Ableben erdbestattet werden.

Sönke Thomas, Verwaltungsdirektor des Marienhospitals Gelsenkirchen.
Sönke Thomas, Verwaltungsdirektor des Marienhospitals Gelsenkirchen. © Martin Möller

Auf Nachfrage der WAZ nahm der Verwaltungsdirektor des Marienhospitals GE, Sönke Thomas, Stellung. Er bestätigt, dass eine unbekannte Mutter die Frühchen entbunden hat. „Die behandelnden Ärzte der Klinik für Geburtshilfe gehen davon aus, dass die Zwillingsfrühchen in der 21. beziehungsweise 22. Schwangerschaftswoche geboren wurden. Beide Frühchen starben zirka 60 Minuten nach der Geburt.“

Für alle Mitarbeiter des Hauses sei das ein tragisches, wenngleich auch zum Dienst gehörendes Ereignis. Thomas: „Welche Gefühle der Tod der Zwillingsfrühchen bei der Mutter beziehungsweise den Eltern ausgelöst hat, wissen wir nicht.“ Die Eltern hätten ihre toten Kinder zurückgelassen, durch falsche Angaben zu Person und Wohnort einen Kontakt unmöglich gemacht.

Verwaltungsdirektor: „Wir bedauern diesen Fehler sehr“

Im Marienhospital gebe es klare Vorgaben, wie mit solchen Ereignissen umzugehen ist. Danach müsse die Stadtverwaltung spätestens fünf bis sechs Tage nach dem Todesfall informiert werden, wenn sich Angehörige wohl nicht um die Bestattung kümmern. Leider nehme die Zahl der Fälle zu, bei denen Angehörige nicht für eine würdige Bestattung der Toten sorgen.

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Schließlich sagt Thomas: „Ungeachtet der Verantwortung Dritter stellen wir fest, dass in unserem Haus in diesem Fall klare Vorgaben und Verfahrensanweisungen durch einen individuellen Fehler nicht eingehalten wurden – wir bedauern diesen Fehler sehr. Für unser Haus ist der respekt- und würdevolle Umgang mit dem Thema Leben und Tod der uns anvertrauten Menschen Kennzeichen unseres Dienstes und unseres Selbstverständnisses.“

Sterbeurkunden mit Familienname und Geschlecht

Konrad Herz hat den Grabstein für Myriam gespendet. Den Namen gab Pfarrerin Zuzanna Hanussek dem Mädchen bei der Bestattung.
Konrad Herz hat den Grabstein für Myriam gespendet. Den Namen gab Pfarrerin Zuzanna Hanussek dem Mädchen bei der Bestattung. © Michael Korte

Auf den Grabsteinen heißen sie Nathanael, Myriam und schon bald Gabriel und Raffael. Beim Standesamt aber haben die toten Kinder, die nach der Geburt im Stich gelassen wurden oder wo die Mutter den Tod des Kindes bewusst in Kauf genommen hat, keine Vornamen. Falls der Familienname der Mutter bekannt ist, sind die Kinder mit diesem und mit ihrem Geschlecht erfasst. Im Falle der Zwillinge gibt es also nicht einmal den Nachnamen. Wiederholt hat Zuzanna Hanussek beim Standesamt die Bitte geäußert, das zu ändern und in die Sterbeurkunden die Namen einzutragen, die sie oder ihr katholischer Amtskollege den vergessenen Kindern gaben.

Sorgeberechtigte geben Kindern einen Vornamen

Standesbeamter Joachim Alfs erklärt, warum das nicht geht. „Was an Daten verfügbar ist, wird beurkundet“, sagt er auf Nachfrage der WAZ. Das gelte für die Geburts- und die Sterbeurkunde. Aber, so Alfs: „Für die Vornamensgebung ist der Sorgeberechtigte zuständig. Das ist mindestens die Mutter.“ Die Sorgeberechtigung sei nicht kraft Verschwindens der Mutter beziehungsweise der Eltern übertragbar. Die Mutter könnte es sich ja überlegen und dem Kind noch nach zwei Wochen einen Namen geben.

Keine Frage, „das sind tragische Fälle“, sagt Alfs mit Blick auf die verlassenen Kinder. Aber noch gebe es keine Vorschrift, die das erfasse. Und: „Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn es da eine gesetzliche Regelung geben würde.“