Gelsenkirchen-Resse. . Oberstudiendirektor Günter Jahn hat das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe 15 Jahre geleitet. Seine Laufbahn begann am Abendgymnasium in GE.

Ein Münsterländer, der aus Überzeugung nach GE kam: Das ist Oberstudiendirektor Günter Jahn (64). Der Leiter des Weiterbildungskollegs Emscher Lippe (WBK) wird am 12. Juli offiziell verabschiedet. Mit WAZ-Redakteurin Inge Ansahl sprach er über seine Arbeit.

Herr Jahn, wie fühlt man sich ein paar Tage vor dem Ruhestand?

Günter Jahn: Es ist nicht so, dass ich schon seit geraumer Zeit die Tage zähle. Aber je näher der Tag kommt, umso deutlicher wird mir schon, dass es ein Einschnitt ist nach 15 Jahren Schulleitung hier und fast 40 Jahren Lehrertätigkeit. Da sind Bindungen entstanden an die Schule, an Kollegen, an Studierende, die man nicht so mit einem Tag abschüttelt. Aber, was jetzt kommt, werde ich auch sinnvoll gestalten können.

Zum Beispiel bei Fortuna Unglück?

Da bin ich nur noch passives Mitglied. Es gibt andere Dinge. Ich habe vor einiger Zeit meinen Bootsführerschein gemacht und will mal sehen, ob ich das zu meinem Hobby mache. Aber vor allen Dingen will ich mit meiner Frau zusammen Fernreisen machen. Dafür war bisher wenig Zeit. Außerdem haben wir Enkel, um die ich mich ein wenig mehr kümmern kann. Ehrlich gesagt, will ich auch wieder mehr lesen, das ist etwas zu kurz gekommen in den letzten Jahren.

Wie viele Weiterbildungskollegs gibt es eigentlich?

Landesweit sind es über 30. Jedes Weiterbildungskolleg muss jeweils zwei der ehemals selbstständigen Bildungsgänge des zweiten Bildungsweges unter einem Dach vereinen. Manche, wie wir, haben das Kolleg und das Abendgymnasium. Es gibt wenig Bundesländer, die den zweiten Bildungsweg so eng ausgebaut haben wie NRW. Gelsenkirchen hat mit uns und der Abendrealschule quasi zwei WBKs.

An welcher Schule haben Sie vorher unterrichtet?

Ich habe ganz klassisch Lehramt Gymnasium in Bonn studiert, mein Referendariat am Gymnasium in Vreden gemacht und bin dann sofort nach Gelsenkirchen gekommen, weil ich mich ins Ruhrgebiet beworben habe. Ja, da bin ich dann, ohne gefragt worden zu sein, ans Abendgymnasium versetzt worden. Ich muss gestehen, ich kannte die Schulform damals gar nicht. Meine Frage an den Dezernenten war tatsächlich: Wer war Herr Abend? Eine Bildungslücke, aber es war so.

Und dann kam Ihre Frage, ob Sie nur Spätschichten haben?

Eher die Erklärung dieser Schulform. Da sagte mir der zuständige Dezernent: Herr Jahn, sie haben es da mit Lernern zu tun, die sind zum Teil deutlich älter als sie. Ich war da gerade 27 und Berufsanfänger. Und er sagte: Die sind hochmotiviert. Das wird ihnen bestimmt gefallen. Ich bin dann an dieser Schulform hängen geblieben. Ja, und es gab diesen Riesennachteil, immer nur abends zu unterrichten. Das hatte schon starke Auswirkungen auf Sozialkontakte. Ich habe mich später fast achte Jahre lang anders orientiert, bin Fachleiter für Deutsch am Seminar in Gelsenkirchen gewesen.

Das WBK ist Schule mit Courage und ohne Rassismus. Wer gab den Anstoß?

Günter Jahn im Gespräch.
Günter Jahn im Gespräch. © Olaf Ziegler

Die Initiative dazu ist aus der SV gekommen. Das war ja mit einem Bewerbungsverfahren verbunden. Wir mussten eine interne Abstimmung durchführen und dann einen Partner gewinnen. Das war die Schalker Fan-Initiative gegen Rassismus, die damals noch in den Anfängen ihrer Arbeit war, aber ihre Erfolge schon bundesweit verkaufen konnte. Ich fand diese Konstellation besonders gut. In Zusammenarbeit mit der Patin Fan-Ini sind zum Teil Themen generiert worden. Wir haben Kollegen, die das Projekt Schule ohne Rassismus betreuen. Deren Aufgabe ist es, zu schauen, wo es Problemfelder gibt, welche Themen vielleicht gerade unsere Schule mit ihren jungen Erwachsenen ansprechen muss. Grob gesagt sind das drei Sachen: Jede Form von Radikalisierung im Religiösen, also Salafismus als großes Stichwort, und Prävention. Demokratiepädagogisch gegen Rechts, gegen Antisemitismus, da haben wir mehrere Projekte und Ausstellungen gemacht. Erinnerungskulturell, das müsste man in dem Kontext auch sagen, arbeiten wir kontinuierlich. Das Gute ist, wenn sich bei uns erwachsene Lerner dafür interessieren, dann sind das engagierte Leute, die die Bedeutung dessen, was sie da tun, voll und ganz sehen und sich gesellschaftlich dafür einsetzen.

War die Türkei-Wahl an Ihrer Schule ein Thema?

Wir haben schon im Zusammenhang mit der ISG-Ausstellung ,Heimat - Heimisch - Einheimisch’ hier ganz offen die Frage diskutiert, wie es eigentlich sein kann, dass besonders bei den Migranten, auch Studierenden, die in hohem Maße integriert sind und hochwertige Bildungsabschlüsse erworben haben, oftmals die Tendenz erkennbar ist, Integration zu verweigern und sich zu orientieren an dem Entwicklungsmodell, das Erdogan jetzt in der Türkei vorgibt. Das ist ein Widerspruch, der nicht so ganz selten auftritt. Das ist zwar nicht die Mehrheit unserer Studierenden, aber der ein oder andere ist aus meiner Sicht jemand, der hier erfolgreich Abschlüsse erwirbt und auf der anderen Seite Erdogan aus Motiven unterstützt, die weniger zu tun haben mit der Entwicklung in der Türkei selbst, sondern mehr mit Wahrnehmungen der jungen Erwachsenen, dass sie sich hier doch nicht so akzeptiert fühlen.

Ist das auch Thema im Unterricht?

Das sind sicher Themen des Türkischunterrichts, den wir ja hier haben. Es spielt im Geschichtsunterricht eine Rolle, im Soziologieunterricht. Die Rückmeldung von Kollegen, ist die, dass man das immer wieder auch anspricht, aber nicht in der Intensität diskutiert, wie man das vielleicht erwarten könnte. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass der Anteil unserer Studierenden, die Erdogan wählen, gering ist.

Wie viele Studierende hat das WBK?

19. November 2009: Das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe zog in die ehemalige Ewaldschule. Günter Jahn läutete die neue Ära ein.
19. November 2009: Das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe zog in die ehemalige Ewaldschule. Günter Jahn läutete die neue Ära ein. © Joachim Kleine-Büning

Im neuen Schuljahr werden wir um die 450 Studierende haben. Wir haben in den letzten 15 Jahren über lange Zeit einen starken Anstieg gehabt und phasenweise über 700 Studierende. In den letzten Jahren ist, wie landesweit an allen WBKs, eine Abnahme zu beobachten.

Welche Ursache hat der Rückgang?

Darüber gibt es keine empirischen Untersuchungen. Manche sagen, das hänge mit der Arbeitsmarktlage zusammen.

Das hat sicher Auswirkungen auf die personelle Ausstattung?

Ja, wir werden im kommenden Schuljahr zwei Kollegen teilabordnen. Das heißt, sie werden einen Teil ihrer Stunden an anderen Schulen absolvieren. Die Bewegungen verdeutlichen aber auch: Wir sind eine Angebotsschule. Unsere Lernenden unterliegen keiner Schulpflicht, sie kommen freiwillig und können jederzeit wieder aufhören.

Wie hoch ist die Abbrecherquote?

Im Kolleg ist die Zahl nicht so hoch wie am Abendgymnasium, wo wir in aller Regel nach einem Jahr ein Drittel verloren haben. Aus unterschiedlichen Gründen, keineswegs aber wegen mangelnder Leistungsfähigkeit. Wir verlieren manchmal sehr, sehr gute Leute aus familiären oder beruflichen Gründen und sind da auch häufig frustriert. Natürlich gibt es auch im Kolleg Abbrecher. Wenn wir mit einer Klasse mit 25, 26 Leuten starten, dann gehen wir mit 18 in die Oberstufe. Im Abendgymnasium mit 22 Stunden die Woche ist es dramatischer. Wenn wir mit 30 beginnen, sind am Ende nur noch 15 oder 16 dabei. Auch für die Kollegiaten ist die 32-Stunden-Woche nur ein Teil ihres Erwachsenenlebens. Viele haben Familie, vielleicht auch Kinder oder Eltern, die sie pflegen müssen.

Gibt es ein WBK-Highlight, von dem Sie sagen: Wenn ich meine Memoiren schreibe, kommt das darin vor?

Es gibt eine Reihe von Dingen, die ich als sehr positiv in Erinnerung behalten werde. Ein wichtiges Kapitel sind unsere Kontakte zur Partnerschule in Büyükcekmece. Die haben uns viele Einsichtmöglichkeiten hinter die touristische Fassade Istanbuls ermöglicht. Der Kontakt zu den Kollegen und die Gegenbesuche waren schon Highlights auf der zwischenmenschlichen Ebene, da sind auch Freundschaften entstanden. Und ja, auch wenn sich das nach Selbstlob anhört, es gibt keine Abiturfeier, auf der wir nicht als Schule und als Lehrer gelobt werden. Unvergessen ist das Unesco-Symposium zur nachhaltigen Bildung in Kooperation mit dem Agenda-Büro 2016 und viele Veranstaltungen mit namhaften Referenten, darunter richtige Hochkaräter.

Am 12. Juli wird Abschied gefeiert?

Prof. Stefan Goch vom Institut für Stadtgeschichte wird anlässlich der Verabschiedung von Günter Jahn auch etwas über die Geschichte der Schule erzählen.
Prof. Stefan Goch vom Institut für Stadtgeschichte wird anlässlich der Verabschiedung von Günter Jahn auch etwas über die Geschichte der Schule erzählen. © Lars Heidrich

Ja. Ich habe die Einladungen verschickt. Wir haben mit Stefan Goch vom ISG so etwas wie eine Erweiterung des Üblichen. Er wird etwas zu dieser Schule sagen. Das wissen ja die wenigsten: Sie wird 2028 schon 100 Jahre alt. Wir waren 1928 nach Berlin das zweite Abendgymnasium reichsweit. Der erste Schulleiter wird in einer Quelle zitiert, wonach er allergrößte Bedenken habe, ob man in einer Industrieregion genügend Begabungspotenzial finde, um Menschen zum Abitur zu führen. Die Nazis haben das Abendgymnasium eingestellt. Nach dem Krieg sind wir aber eine der ersten Neugründungen gewesen. Leider war Dortmund etwas schneller als wir.