Gelsenkirchen. Vor 25 Jahren wurde das Institut für Stadtgeschichte gegründet. Ein Schwerpunkt war die Aufarbeitung der NS-Zeit – und immer geht es in der Forschung auch um die Veränderungen der Stadtgesellschaft.

Gut 25 Jahre Geschichte: Im historischen Kontext ist das gerade mal ein Wimpernschlag, aber eben auch ein Grund zum Feiern. Ende 1989 entstand das ISG, das Institut für Stadtgeschichte. „Es macht zwar nicht Geschichte, aber es erforscht und präsentiert Stadtgeschichte als Geschichte der Menschen in unserer Stadt,“ hat Institutsleiter Prof. Dr. Stefan Goch für den Einladungstext zum Jubiläum formuliert.

Der ISG-Anspruch geht noch darüber hinaus. Goch formuliert ihn in weiteren, knackigen Sätzen:
– „Wir arbeiten wissenschaftlich fundiert, wollen aber verständlich für die Menschen sein.“
– „Moderne Gesellschaften beruhen darauf, dass Menschen unterschiedlich sind. Was wir erreichen wollen, ist einen Ort in Gelsenkirchen zu bieten, wo man frei diskutieren und ganz unterschiedliche Gruppen erreichen kann. Ich denke, in der letzten Zeit ist uns das ganz gut gelungen. “
– „Wir haben viel zum Nationalsozialismus geforscht. Wir haben auch die Dinge zu machen, die andere ungern machen, wir haben auch die unschönen Kapitel der Stadtgeschichte an den Mann oder die Frau zu bringen, und zwar in ganz unterschiedlichen Formen.“
– Und: „Wir konzentrieren uns auf so etwas wie Zeitgeschichte. Zeitgeschichte ist die Geschichte, die noch raucht. Selbst die 60er und 70er Jahre sind erklärungsbedürftig, Das sehen wir ja auch baulich, da leben wir drin. Gerade hier müssen wir Zusammenhangwissen erzeugen. Die Leute wissen eigentlich viel, kriegen es aber nicht eingeordnet. Dazu kommt, dass die jüngere Generation zurecht sagt: Das ist doch die Geschichte unserer Großeltern. Für viele ist der Nationalsozialismus dann so weit weg wie Karl der Große.“

Goch: Wir sind eigentlich eine Gegend kleiner Leute

Rund 40 Bücher und Veröffentlichungen sind das publizistische Ergebnis dieses Aufarbeitungsprozesses, den das Institut vorantreibt. Sie gehören zu den über 8000 im Präsenzbestand, die sich mit der Geschichte der Stadt beschäftigen – und ihren Geschichten über diesen vielschichtigen Ballungsraum, den Strukturwandel, die veränderten Biografien in einer Malocherstadt, die ihre Kathedralen der Arbeit heute vor allem museal sieht. Eigentlich, sagt Goch, „sind wir eine Gegend kleiner Leute“ in die gerade mal vor einer Generation Wissenschaft und Forschung mit den Ruhgebietsunis Einzug gehalten haben.

ISG-Mitarbeiterin Claire Maunoury im Archivkeller.
ISG-Mitarbeiterin Claire Maunoury im Archivkeller. © WAZ

Es sind viele Quellen, die den historischen Faktenfluss speisen und über die Papierform hinaus gehen. „Wie viele Entscheidungen werden heute am Telefon oder per E-Mail getroffen? Wie geht man damit um? Was bleibt?“, stellt Goch buchstäblich historische Fragen

Natürlich sind es auch die Menschen selbst, die für das Institut ihre Geschichte(n) erzählen. Lebensgeschichtliche Interviews mit Eliten oder bestimmten Bevölkerungsgruppen sind für Goch aufschlussreich, um Stadtentwicklung nachzuzeichnen. In einem aktuellen Projekt wurden 70 Interviews mit Arbeitsmigranten geführt. „Solche Interviews“, sagt Goch, „sind Pfadfinder zu neuen Fragestellungen: Was hat der Mensch für wichtig gehalten. Was sind für ihn Schlüsselereignisse?“ Das Ergebnis soll in eine Wanderausstellung münden. Zu wissen, woher man kommt, meint Goch, präge Bewusstsein. „Geschichte hat ja auch viel mit der Gegenwart zu tun, sie klärt uns auf, wohin wir gehen wollen.“

Neun Kilometer Akten im Archiv-Keller

Von der „nicht sonderlich beachteten Abteilung der Bücherei“ zum überregional registrierten (und gut vernetzten) Institut für Stadtgeschichte hat sich das ISG laut Institutsleiter Stefan Goch in 25 Jahren entwickelt. Zum Arbeitsbereich gehören neben der historischen Forschung vor allem das Stadtarchiv sowie die Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“. Die Dauerausstellung in Erle soll bis Mai komplett aktualisiert werden. Zudem erreichen das Institut pro Jahr um die 1000 Anfragen zur Familienforschung und Erbenermittlung.

Zwölf Personen auf neun Stellen arbeiten im Wissenschaftspark – darunter Historiker, Pädagogen, Archivare, Sozialwissenschaftler und Verwaltungskräfte. Für Goch hat es „mit Demokratie zu tun, nachvollziehen zu können, wie Entscheidungen gelaufen sind“. Das Stadtarchiv ist dabei Gedächtnis der Stadt und Fundgrube für Historiker. Die ältesten Dokumente stammen aus dem 17. Jahrhundert. Über 500.000 Fotos gehören zum Bestand, die drei neuen Magazinkeller sind bislang mit jeweils fast drei Kilometern Akten gefüllt. Goch: „Wir haben kalkuliert, dass wir 2020 den nächsten ausbauen müssen.“ Erst fünf Jahre später feiert Gelsenkirchen übrigens 150 Jahre Stadtrecht, 2028 jährt sich dann die Vereinigung mit Buer zum 100. Mal. Aber das ist eine andere Geschichte. . .