Gelsenkirchen. . Prof. Heiner Blanke (68) hat 30 Jahre lang die Kardiologie am Marienhospital Gelsenkirchen geleitet. Im WAZ-Interview blickt er zurück.

Am 30. Juni geht Prof. Heiner Blanke (68) in den Ruhestand. Genau 30 Jahre, nachdem er begann, die Kardiologie am Marienhospital Gelsenkirchen aufzubauen, deren Chefarzt er vom ersten bis zum letzten Tag seiner Arbeit im Hause war. Im WAZ-Sommergespräch erzählt er von seiner Arbeit, seinem Team, den Fortschritten in seinem Fachgebiet und von sich.

Herr Professor Dr. Blanke: Sehen Sie Ihrem Ruhestand eher mit Freude oder doch eher mit Wehmut entgegen?

Heiner Blanke: Schon mit Wehmut. Ich habe das ganz große Glück gehabt, für die Abteilung Oberärzte dauerhaft zu gewinnen. Ich bin jetzt 30 Jahre hier tätig, Oberarzt Michael Kemmerling seit 29 Jahren, Stephan Busse 28 Jahre, Ralf Doliva 21 Jahre, Susanne Beermann seit zehn Jahren, die anderen auch mehrere Jahre: Die Oberärzte haben eine riesengroße Erfahrung. Herr Kemmerling hat wie ich sicherlich 40 000 bis 50 000 Herzkatheterprozeduren durchgeführt, die anderen Oberärzte auch zigtausend.

Sie haben volles Vertrauen in Ihr Team?

Ja. Wenn ich selbst Behandlungsbedarf am Herzen hätte: Ich würde mich ganz sicher von ihnen behandeln lassen.

Freuen Sie sich denn nicht auf ihren Ruhestand?

Prof. Dr. Heiner Blanke: 70-Stunden-Wochen waren für ihn die Regel.
Prof. Dr. Heiner Blanke: 70-Stunden-Wochen waren für ihn die Regel. © Joachim Kleine-Büning

Darauf, dass ich keine 70- bis 75-Stunden-Arbeitswochen mehr haben werde, freue ich mich schon. Ich war jeden Tag hier in der Klinik; morgens fahre ich um sechs Uhr zuhause los und abends um halb acht wieder Richtung Haltern. Samstags wird unter anderem die Büroarbeit erledigt, werden Briefe diktiert. Bis vor kurzem war ich auch jeden Sonntagmorgen. abgesehen von Urlaubszeiten, in der Klinik.

Ihre Arbeit sah in den ersten Jahren sicher anders aus als heute?

Aber ja. Als ich Assistent in Göttingen war, haben wir Anfragen der Krankenkasse in den Papierkorb geworfen. Wenn wir eine zweite Anfrage bekamen, haben wir es damit genauso gehalten. Aber der Papierkrieg heute. . .

Also hatten Sie damals mehr Zeit für Patienten?

Ja. Die Zeit ist halt nicht endlos.

Sie haben den ganzen Menschen im Blick. Heute setzt man auf Spezialisierung. Wie finden Sie das?

Die Spezialisierung ist schon erheblich. Früher legte man zunächst die Facharztprüfung für Innere Medizin ab , dann erst nach zwei weiteren Jahren die Facharztprüfung für Kardiologie. Heute macht man beides zusammen. Das ist nicht gut, das habe ich auch bei zahlreichen Facharztprüfungen gemerkt, die ich in Münster abgenommen habe. Man muss auch eine internistische Basisausildung haben, um allgemeininternistische Krankheitsbilder diagnostizieren und behandeln zu können.

Wie groß ist der Kostendruck?

Er ist schon da, aber wir spüren ihn in unserer Abteilung, abgesehen vom Personalmangel, wenig. Die Abteilung arbeitet mit schwarzen Zahlen. Natürlich muss man auf die Kosten achten. Stents zum Beispiel haben anfänglich 2000 Euro gekostet. Heute gibt es sie für 140 Euro..

Ist es schwierig, Arztstellen zu besetzen?

Vor allem hier in Gelsenkirchen. Das Negativimage der Stadt ärgert mich sehr. Die Meinung hat sich festgefahren. Dabei: Die meisten Menschen fühlen sich hier wohl. Wir bieten hier in unserer Klinik nahezu das gesamte diagnostische und therapeutische Spektrum der Kardiologie und Angiologie an. Wir führen mehr Herzkatheteruntersuchungen durch als das Deutsche Herzzentrum in München oder die Charité in Berlin. Auch wenn wir ‘nur’ in Gelsenkirchen tätig sind.

Welche wichtigen Neuerungen gab es in ihrer Zeit?

Prof Dr. Heiner Blanke anno 1988, als er seinen Dienst als Chefarzt am Marienhospital Gelsenkirchen begann, um die Kardiologie hier zu etablieren.
Prof Dr. Heiner Blanke anno 1988, als er seinen Dienst als Chefarzt am Marienhospital Gelsenkirchen begann, um die Kardiologie hier zu etablieren. © Joachim Kleine-Büning

Die bildgebenden Verfahren haben eine rasante Entwicklung erfahren. Wir bekommen mit der Echokardiographie und der Kernspintomographie sowie der Computertomographie traumhafte Bilder vom Herz- und Gefäßsystem. Mit dreidimensionalen Techniken sind plastische Darstellungen möglich. Mit Kathetertechniken können wir auch komplexe Koronareinengungen behandeln, so dass bei den Patienten keine OP mehr durchgeführt werden muss, Becken- und Beingefäße können wir rekanalisieren. Mit Kathetertechniken können angeborene Herzfehler behandelt werden. Bei Patienten mit degenerativ eingeengter Herzklappe zur Hauptschlagader können Herzklappenprothesen minimalinvasiv implantiert werden (TAVI-Methode). Mit speziellen Klammern (Clips) können undichte Klappen behandelt werden.

Die Kardiologie hat einen ganz entscheidenden Anteil an der Lebensverlängerung der Menschen. Das fasziniert mich so.

An welchen Eingriff erinnern Sie sich besonders gut?

Ich war in Göttingen 1979 Assistenzarzt, als mein Freund Peter Rentrop dort beim weltweit ersten Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt das verschlossene Herzkranzgefäß mittels Kathetertechnik wiedereröffnete. Das hat Furore gemacht und Medizingeschichte geschrieben.

Davon sprechen Sie nie?

Das ist nicht meine Art, ich bin kein Selbstdarsteller. Wir hatten auch so keine Belegungsprobleme, im Gegenteil. Und wir haben hier auch nicht jeden neuen Trend mitgemacht, zum Glück haben wir meist aufs richtige Pferd gesetzt. Wir haben bei neuen Techniken gern anderen den Vortritt gelassen, wenn wir nicht sicher waren, dass die Methode eine Zukunft hat. Ich habe mich immer gefragt: Würde ich das Verfahren bei einem nahen Angehörigen anwenden?

Es gibt hier keine Herzchirurgie. Ärgert Sie das?

Nicht mehr. Wir haben es lange versucht, es gab einen Förderverein, aber die Landesregierung war dagegen. Wir haben den Vorteil, dass wir uns die Chirurgen für die jeweils erforderliche Operation aussuchen können.

Es gibt keinen Herzchirurgen, der für alle OP-Verfahren der beste ist. Ohnehin ist die Zahl der Überweisungen in die Herzchirurgie wie oben erklärt rückläufig.

Hören Sie ganz auf als Kardiologe?

Nicht ganz. Ein ‘bisschen’ werde ich mich bei niedergelassenen Kollegen in der Praxis betätigen.

Haben Sie Hobbys?

Nein. Dafür war keine Zeit. Ich werde sicher nicht beginnen zu golfen. Vielleicht baue ich meine Modelleisenbahn aus den 50er-/60er-Jahren auf. Und Radfahren werde ich vermehrt – vorerst ohne Elektromotor. Ich denke, erstmal werden wir unsere Söhne in den USA und Kanada besuchen.

Dafür hatten Sie auch kaum Zeit?

Allerdings. Unsere Söhne sind vor 36 Jahren in New York geboren, aufgewachsen ab dem dritten Lebensjahr hier. Heute lebt einer in New York, einer in Vancouver. Für sie hatte ich damals zu wenig Zeit, das nehmen sie mir noch heute übel. Ich war bei ihrer Einschulung, beim Wechsel zum Gymnasium und beim Abitur. 1,5 mal je Kind – das war meine Schulbegleitung. Jetzt kommen die ersten Enkelkinder, eineiige Zwillinge wie unsere Söhne. Da werde ich gelegentlich mit meiner Frau Ulrike nach Amerika reisen. Der Flug ist für mich Höchststrafe. Ich bin ja zwei Meter groß...

Die Abteilung verdreifachte sich

Ein Blick in das Herzkatheterlabor des Marienhospital Gelsenkirchen.
Ein Blick in das Herzkatheterlabor des Marienhospital Gelsenkirchen. © Martin Möller

Die Kardiologische Abteilung wurde 1988 am Marienhospital mit Heiner Blanke als Chefarzt, einem Oberarzt, drei Assistenzärzten und 52 Betten eingerichtet. Es war die erste Kardiologie im Versorgungsbezirk Gelsenkirchen, Bottrop, Kreis Recklinghausen mit Herzkatheteruntersuchungseinheit. Die Abteilung wuchs schnell, 1997 folgte die zweite Herzkatheteranlage, 2004 eine neue internistisch-kardiologische Intensivstation, 2005 die Intermediate Care-Einheit mit Herzschmerz-Abteilung (Chestpain-Unit), 2008 die dritte Katheteranlage für elektrophysiologische Untersuchungen bei Herzrhythmusstörungen. Bis zu 6600 Herzkatheter wurden durchgeführt, bis zu 8300 Patienten jährlich versorgt.

Von Anfang an wurde angiologische Diagnostik und Therapie durchgeführt wie zum Beispiel Aufdehnungen der Halsschlagader mit Stentimplantationen bei von Schlaganfall bedrohten Patienten, Ballondehnungen und die Implantation von Gefäßprothesen in die Bauch- und Brustaorta bei Gefäßaussackungen. Aktuell gibt es einen Chefarzt, acht Oberärzte und 19 Assistenzärzte. Bei 141 Betten plus Intensiv- und IMC-Betten.

> Info: Mit 24 Jahren fertig mit dem Medizinstudium

Heiner Blanke ist 1950 in Gladbeck geboren, machte mit 18 Jahren Abitur am dortigen Jungengymnasium.

Studium in Düsseldorf und Münster, Studienabschluss mit 24 Jahren. Assistenzarzt in Göttingen, Oberarzt im „Mount Sinai-Hospital“ in New York, danach an der Uniklinik Marburg.