Das ZDF sieht Gelsenkirchen als deutsche Stadt mit der schlechtesten Lebensqualität. Ist das gerechtfertigt? Ein Kommentar am Ende der Woche.
Haben Sie sich in den vergangenen Tagen auch gefragt: Was ist eigentlich Lebensqualität? Was zeichnet sie aus? Wie kann man die messen?
Ich finde ja, dass Lebensqualität etwas sehr Individuelles ist. Das hängt nämlich ganz davon ab, welche Prioritäten man selbst setzt. Dem einen ist es wichtig, viele Freizeitmöglichkeiten in direkter Umgebung zu haben. Dem Anderen ist es vielleicht wichtiger, Felder und Wälder um sich herum zu haben, weil er gerne spazieren geht. Ein Dritter mag ein steigendes Einkommen mit steigender Lebensqualität gleichsetzen, weil ihm ein gewisser Luxus etwas bedeutet. Wem Geld weniger wichtig ist, sieht seine Lebensqualität vielleicht darin, möglichst oft seine Familie um sich zu haben, Zeit zu verbringen mit den Kindern oder Enkeln. Für den Nächsten ist ein Garten oder Balkon Lebensqualität.
Studie macht Lebensqualität zum Durchschnittswert
Was die ZDF-Studie gemacht hat, ist, die Lebensqualität zu einem Durchschnittswert zu erklären. Ohne Frage gibt es Faktoren, die für jeden gelten: die Qualität der Luft oder die Anzahl der Sonnenstunden. Wobei das für einen Workaholic, der 12 bis 14 Stunden am Tag im Büro sitzt, auch egal sein dürfte. Apropos Arbeit: Macht es eigentlich etwas mit meiner persönlichen Lebensqualität, ob die Arbeitslosenquote in meiner Stadt bei 8, 11 oder 14 Prozent liegt? Wichtig für die Lebensqualität ist doch, ob man selbst einen Job hat. Ähnlich gelagert ist das Beispiel mit den Rauchern: Wo besonders viele Raucher wohnen, ist das Leben laut Studie qualitativ schlechter. Aber mir ist es doch völlig egal, wie viele Raucher hier leben. Ich rauche nicht. Und das Nichtraucherschutzgesetz ist so umfangreich, dass mich Raucher kaum noch stören können. Ein negativer Einfluss auf mein Leben ist somit nicht vorhanden. Trotzdem zieht dieser Faktor Gelsenkirchen nach unten.
Oben, am anderen Ende des Städte-Rankings zur Lebensqualität, steht München. Wenn man gut leben will, sollte man also am besten dort hinziehen. Nur: Wer soll sich das leisten? Ist Lebensqualität nur etwas für Spitzenverdiener? Würde ich meinen Job nicht in Gelsenkirchen, sondern in München machen, würde ich dort nicht doppelt so viel verdienen. Aber die Mieten sind mehr als doppelt so hoch. Auch viele Dinge des täglichen Bedarfs sind dort teils erheblich teurer. Mindert es nicht eher meine Lebensqualität, wenn ich mir vom gleichen Geld weniger leisten kann?
Studie lässt einige Fragen offen
Die Studie lässt Fragen offen. Besonders die Frage der Gewichtung bestimmter Faktoren. Wie kann ein 400-Seelen-Dorf, in dem der Bürgermeister selbst wegen fehlenden Geldes die öffentlichen Holzbänke abhobeln muss, das keinen Supermarkt hat, wo alle über das langsame Internet klagen, über 100 Plätze besser dastehen als Gelsenkirchen? Und wieso hat man beim Betrachten der Doku das Gefühl, dass die positiven Faktoren wie etwa gute Freizeitmöglichkeiten zwar gebührend erwähnt, aber offenbar kaum gewertet wurden.
Außerdem ist es fragwürdig, Arbeitslosigkeit und Kinderarmut gleichermaßen stark zu bewerten. Das eine ist die Folge des anderen! Heißt: Kriegst du den einen, kriegst du automatisch auch den anderen Negativpunkt! So liegt Gelsenkirchen letztlich auf dem 401. und letzten Platz aller Landkreise und kreisfreien Städte. Übersetzt heißt das: Es gibt keinen Ort in der gesamten Bundesrepublik Deutschland, an dem man schlechter lebt als in Gelsenkirchen! Sagt die Studie. Und mal ehrlich: Sie als Gelsenkirchener, können Sie sich das wirklich vorstellen?
Das größte Problem ist die hohe Arbeitslosigkeit
Es ist nicht mein Sinnen und Trachten, nur die Studie in der Luft zu zerreißen und am Ende zu sagen: Gelsenkirchen ist aber ganz toll und unglaublich lebenswert und hätte mindestens einen Platz in den Top 100 verdient. Nein! So einfach ist es nicht. Bei anderer – wie ich finde: besserer – Gewichtung der Faktoren, wäre vielleicht ein Platz 368 oder 294 drin gewesen. Auch kein Ruhmesblatt. Zu schlecht sind die Faktoren, die man nicht wegdiskutieren kann und die schon andere Studien und Rankings verdeutlicht haben. Das größte Problem, der Anfang allen Übels, ist die hohe Arbeitslosigkeit. Die muss runter!
Aus diesem Keller wird sich Gelsenkirchen aus eigener Kraft nicht befreien können. Was hier gebraucht wird, ist Hilfe von außen. Landes- und Bundespolitiker sollten endlich mit ihren Sonntagsreden aufhören, welch hohen Stellenwert das Ruhrgebiet hat. Taten sind gefragt! Ja, Taten kosten Geld. Aber erstens sprudeln die Steuereinnahmen – Geld ist also da. Und zweitens wird der „Aufbau West“ immer teurer, je länger man wartet.