Gelsenkirchen. . Brigitta Blömeke ist Wahl-Gelsenkirchenerin und Vorsitzende des Vereins KulturPott Ruhr. Mit der WAZ sprach Blömeke über ihre Stadt.
- Der wichtigste Wunsch für Gelsenkirchen: dass die Arbeitslosigkeit schnell und drastisch sinkt
- Verwaltung hat die Arbeit des KulturPott Ruhr stets tatkräftig unterstützt – im Gegensatz zu Essen
- Verbesserungsbedarf bei den Verkehrswegen und beim Miteinander in der Region
Brigitta Blömeke ist Vorsitzende des ruhrgebietsweit aktiven KulturPott Ruhr, pensionierte Gesamtschulleiterin und Wahl-Gelsenkirchenerin. WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies sprach mit der engagierten Ehrenamtlerin über Gelsenkirchen, das Ruhrgebiet und das Miteinander.
Frau Blömeke, die Kultur ist eines Ihrer größten Steckenpferde. Ist Gelsenkirchen da die ideale Wahlheimat?
Brigitta Blömeke: Auf jeden Fall. Abgesehen von dem großartigen Angebot in Gelsenkirchen begreife ich mich als Bürgerin der Metropole Ruhr, die auch die üppige Angebotspalette dieser Region nutzt. Viele Ruhrgebietsstädte haben ein außergewöhnlich vielfältiges, buntes und breit gefächertes Kulturangebot. Ich denke, an vielen Stellen jedoch könnten Synergieeffekte hergestellt und genutzt werden und ich bedauere sehr, dass auch im Kultursektor Kirchturmsdenken immer noch sehr verbreitet ist.
Trotzdem: Was gefällt Ihnen in Gelsenkirchen besonders?
Das Musiktheater im Revier mit all seinen Sparten und Programmen, die Flora, das Consol, die Veranstaltungen von emschertainment, die Vielfalt der Kleinkunstszene – das ist einfach bemerkenswert in einer Stadt mit großen sozialen Problemen und wenig Geld.
Sie haben den KulturPott Ruhr mit begründet, um Menschen mit kleinem Budget den Zugang zu kulturellen Angeboten zu ermöglichen. Tut die Stadt zu wenig?
Nein, die Stadt kann nicht alles leisten. Initiativ muss man schon selbst werden. Aber die Stadt Gelsenkirchen und vor allem der Oberbürgermeister Frank Baranowski haben unsere Arbeit von Anfang an sehr unterstützt. Deshalb haben wir auch unsere Zentrale nach Gelsenkirchen verlegt, weil wir hier soviel Unterstützung erfahren im Gegensatz zu unserem Gründungsort Essen. Auch eine Stadt wie Bochum, wo wir sechs Jahre lang vergeblich um Unterstützung unserer Arbeit geworben haben, ist erst jetzt dabei. Zum Beispiel haben wir hier in Gelsenkirchen schnell unbürokratischen Zugang zu allen beteiligten Ämtern der Verwaltung bekommen, durften über unser Projekt informieren, zudem hat man uns bei unserer Fünf-Jahres-Feier in 2015 großzügig unterstützt: Gelsenkirchen ist da vorbildlich.
In ständigem Austausch mit der Ehrenamtsagentur
Wer hat Sie bei der Kulturpott-Arbeit noch unterstützt?
Die Ehrenamtsagentur war da in ganz besonderem Maße hilfreich: Nicht nur räumliche und logistische Probleme hat sie für uns gelöst, auch ehrenamtliche MitarbeiterInnen konnten durch diese Einrichtung für unsere Dependance gewonnen werden. Wir stehen in ständigem Kontakt, tauschen uns aus und „profitieren“ voneinander.
Die etablierten Kulturinstitutionen in der Stadt stehen gut da. Wie steht es um die freie Kulturszene?
Ich kann das nicht wirklich beurteilen. Ich glaube schon, dass die Förderung hier ausbaufähig ist. Vor allem denke ich, dass man einigen Künstlern, die ständig am Existenzminimum kratzen, in Sachen Eigenmarketing etwa helfen sollte. Da hat mancher wirklich eindrucksvolle Künstler erhebliche Defizite. (Mit einem Seitenblick) – und auch die Medien könnten da mehr machen.
Wo sehen Sie Bund und Land in der Pflicht?
Bei der Bildung. Die sozial schwache Emscherregion braucht mehr Lehrkräfte, einen besseren „Zuteilungsschlüssel“ als andere Regionen. Und die Mittel für den Sozialen Arbeitsmarkt dürfen nicht ersatzlos entfallen.
Schlechte Verkehrswege, gute Entwicklung in Bismarck
Sie sind 1973 nach Gelsenkirchen gekommen: Hat sich die Stadt seither positiv oder negativ verändert?
Beides. Negativ entwickelt hat sich die Beschäftigungssituation der Menschen, die ist ja wirklich dramatisch, ebenso die Leerstände in den Geschäften, die ja mit der Armutsentwicklung einhergehen. Auch der Zustand der Verkehrswege, der nicht optimal koordinierte öffentliche Nahverkehr, die fehlende ICE-Anbindung empfinde ich als negativ. Aber es hat sich auch viel Positives getan. Der Stadtteil Bismarck hat eine gute Entwicklung genommen und bemerkenswert ist auch, was sich in Ückendorf tut. Die Stadt hat viel für die Bildung von Kindern aller Bevölkerungsgruppen getan, um Chancenungleichheit zu mindern. Die Schulen in Gelsenkirchen sind vernetzt, die digitale Ausstattung und die Schulgebäudesituation ist deutlich besser als in vielen anderen Städten.
Was kann die Stadt besser machen?
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Die Bürger frühzeitiger bei bevorstehenden Projekten einbinden. Vielleicht war der Bürgerhaushalt in seiner Form nicht ideal, aber es braucht ein Instrument, Bürger zu beteiligen, um Politikverdrossenheit abzubauen. Man muss junge Menschen ansprechen, sie fragen, sie ernst nehmen, dann bringen sie sich auch ein. Aber das ist kein Gelsenkirchen-spezifisches Phänomen.
25 Schulsystem in Deutschland sind Wahnsinn
Was könnten Bund und Land besser machen?
Dass Bildung reine Ländersache ist, halte ich für überholt. Wir haben rund 25 Schulsysteme in Deutschland, das ist Wahnsinn. Auch bräuchten wir einheitlichere Strukturen. Es kann nicht angehen, dass Familien in einer Zeit, die Mobilität einfordert, nicht das Bundesland wechseln können, ohne dass ihre Kinder große Probleme bekommen angesichts des komplett anderen Schulsystems. Was jetzt in NRW mit G8 und G9 passiert, mit Inklusion und Lehrermangel ist hanebüchen. Aber ganz ehrlich – das war die Politik der letzten Schulministerin auch.
Was können Bürger besser machen?
Viele schimpfen, ohne selbst etwas zu tun. Sie sollten lieber selber den Besen in die Hand nehmen und vor der eigenen Tür kehren, statt nur zu lamentieren. Aber natürlich hängt Engagement auch von der eigenen Situation ab. Davon, ob und wie man beruflich eingebunden ist, wie die Lebenssituation ist.
Schwimmen im Naturbecken im Garten
Wofür hätten Sie gern mehr Zeit?
Im Moment ist mein Zeitkonto gut ausgeglichen. Ich habe genug Zeit für meinen Garten, der mir nach der Pensionierung noch wichtiger geworden ist. Ich schaffe es, jeden Morgen in unserem Naturbecken im Garten zu schwimmen – ab 18 Grad Wassertemperatur tue ich das. Am Jahresanfang hatte ich mit meiner ehrenamtlichen Arbeit für den KulturPott Ruhr eine 40-Stunden-Woche, weil ich viele neue Mitarbeiter für die Zentrale finden und einarbeiten musste. Aber jetzt kriege ich das besser hin, die Balance stimmt nahezu.
Was wünschen Sie Gelsenkirchen?
Dass die Arbeitslosigkeit drastisch gesenkt werden kann ist mein größter Wunsch. Daran hängt so vieles, daraus ergibt sich so vieles, wenn die Menschen Arbeit haben und weniger Sorgen, finanziell und was das Selbstwertgefühl betrifft. Und dass die Metropole Ruhr endlich als solche erkannt und akzeptiert wird. Und dass die Region endlich an einem Strang zieht und damit ihre Stärke besser ausspielen kann.