Gelsenkirchen. Über 30 Schrottimmobilien hat die Stadt Gelsenkirchen schon versiegelt: Herbert Leipelt aus Rotthausen berichtet über seine Nachbarschaft.

  • Der Rentner berichtet über seine Erfahrungen an der Saarbrücker Straße
  • Der 75-Jährige dokumentiert die Missstände in der Nachbarschaft mit der Kamera
  • Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst kontrollieren verschärft

Über 30 Schrottimmobilien hat die Stadt mittlerweile für unbewohnbar erklärt und versiegelt – sprich dicht gemacht. Unbewohnbar, weil die Statik die Last zum Teil nicht mehr trug oder andere Gefahr für Leib und Leben bestand – etwa durch notdürftig geflickte Starkstromleitungen mit Tesafilm. Umstände, die ein Wohnen unmöglich machten.

Menschen wohnten nicht, sie hausten dort, sagt Herbert Leipelt. Gern blickt der 75-Jährige auf sein hübsch hergerichtetes Haus an der Saarbrücker Straße in Rotthausen, ein Erbstück. „Alles selbst renoviert“, sagt der gelernte Glasschneider beim Rundgang. Er freut sich. Das Lachen vergeht ihm allerdings, wenn er auf seine Nachbarschaft zu sprechen kommt. Spaghetti-Verdrahtungen hängen von Fenster zu Fenster an marode wirkenden Häusern nebenan, eine Müllsammlerin stöbert in den Aschentonnen der Umgebung herum und im Hinterhof verrottet ein blauer Hyundai.

Im Hinterhof verrottet ein Hyundai

Nicht viel los im Viertel. Der Restpostenladen hat längst aufgegeben, ebenso die Schneiderei an der Ecke, das nahe Brandhaus hat die Stadt geschlossen. „Noch zu früh“, sagt Leipelt. „Der Lärm, der Krach, der kommt abends und nachts.“ Und mit ihm die Unordnung. Oder wie es der Rentner ausdrückt: das Chaos. Dann säßen die Bulgaren im gemeinsamen Hinterhof, grillten, diskutierten und grölten laut bis tief in die Nacht. „An Schlaf ist da nicht zu denken“. Gemütlich machten es sich die Zuwanderer auch auf dem Bürgersteig vor dem Haus. Oft genug, sagt Herbert Leipelt, lägen dann morgens haufenweise Essensreste und anderer Abfall auf dem Gehweg.

Herbert Leipelt führte die WAZ rund um sein Mehrfamilienhaus und benannte die Missstände.
Herbert Leipelt führte die WAZ rund um sein Mehrfamilienhaus und benannte die Missstände. © FUNKE Foto Services

Wer da neben ihm und seiner Frau wohnt, das kann der Rentner so genau nicht sagen, weil es „ein ständiges Kommen und Gehen ist.“ Er sieht oft fremde Gesichter. Nur so viel kann er sagen, dass mit dem Zuzug der Nachbarn der Müll nicht entsorgt wird und Ratten zu einem Problem geworden sind. Der 75-Jährige holt seine Kamera raus – der Monitor zeigt unschöne Bilder von Unrat, der einfach auf den Boden gekippt wurde.

Nebenbei erzählt der Senior von seinen Schockerlebnissen. Davon, dass die Neuankömmlinge ihre Notdurft auch schon aus dem Fenster heraus verrichteten und wie er ein Problem mit der Feuerwehr bekommen hat, als die Bulgaren Altöl aus dem Auto im Gully entsorgten. Der Hinterhof ist sein Grund und Boden. Mitunter, weiß der 75-Jährige, „ließen sie ihre Kinder toben, manchmal bis zwei drei Uhr morgens. Sie warfen Müll aus dem Fenster. Es waren so viele Menschen im Haus, die so viel Abfall produzierten, dass die Tonnen flugs überquollen.“

Verstärkte Kontrollen

Dreck und Lärmbelästigung haben in jüngster Zeit aber offenbar abgenommen. Leipelt vermutet, dass das eine Folge verstärkter Kontrollen durch die Polizei und den Kommunalen Ordnungsdienst ist. Schließlich habe er sich bei denen „regelmäßig beschwert“. Dass die Besserung von Dauer ist, daran glaubt der Rotthauser indes nicht, zu wenig Respekt würden die Bulgaren den Einsatzkräften entgegenbringen: „Und selbst die Polizei kann in solchen Situationen nicht viel mehr machen als sie zu ermahnen.“

Festgehalten: die Müllberge in der Rotthauser Nachbarschaft.
Festgehalten: die Müllberge in der Rotthauser Nachbarschaft. © FUNKE Foto Services

Schon oft haben sich Eigentümer Herbert Leipelt und Mieter Wolfgang Schweda auch gefragt, wovon die Neuankömmlinge lebten. „Oder wie sie die Miete bezahlen“, sagt Leipelt. „Hier im Hinterhof standen plötzlich Männer in schwarzen Anzügen und kassierten (das) Geld ein.“ Mittlerweile würde das drinnen stattfinden. Und als er die bulgarischen Mieter mal ansprach wegen ihrer Jobs, hätten sie geantwortet: „Fünf Kinder, davon können wir leben.“

Termin kommt nicht zustande

Einer, der mit Schrott-Immobilien gute Geschäfte macht, ist nach Recherchen der Zeitung „Die Zeit“ Nuhcan Yildiz. Er betreibt seine Immobilienfirma in einem ehemaligen Bahnhofsgebäude in Schalke-Nord, ein Bild neben einem Wandteppich zeigt ihn stolz neben dem türkischen Präsidenten Erdogan. Dem Artikel zufolge lässt sich in Gelsenkirchen viel Geld verdienen. Ein Mitarbeiter von Yildiz äußerte sich laut „Zeit“ so: Der Kaufpreis eines Hauses liege hier nur beim Sechsfachen der Nettojahresmiete.

In Berlin oder Hamburg sei es mindestens das 20-fache. In Zahlen: Hier wurden kleine Eigentumswohnungen in Schrotthäusern schon für 1000 bis 5000 Euro verkauft, dreistöckige Mehrfamilienhäuser für 90.000 Euro. Auf die Geschäftstätigkeiten angesprochen, erklärte auf Nachfrage der WAZ ein Mitarbeiter, dass das alles „so nicht stimmt und einiges klar gestellt werden müsste“. Ein Termin kam trotz mehrfacher Nachfrage bislang nicht zustande.