Gelsenkirchen. 46 Gruppen informierten die Besucher beim ersten Selbsthilfetag im Hans-Sachs-Haus. OB Baranowski: „Der Austausch ist das Schöne dabei.“
- Die Vertreter von 46 Gruppen informierten viele interessierte Besucher beim ersten Selbsthilfetag
- OB Baranowski nahm sich Zeit, diskutierte, hörte zu und sagte: „Der Austausch ist das Schöne dabei“
- Die Selbsthilfe-Kontaktstelle ist der Anlaufpunkt für Gruppen, Gruppengründer und Ratsuchende
„Ich habe Rat immer nur von den Besten angenommen. So wurde ich dann irgendwann selbst zur Expertin.“ Dieser Satz der amerikanischen Mäzenin und Kunstsammlerin Peggy Guggenheim steht, eingerahmt mit einem Bild der Verfasserin, auf dem Tisch der Deva, einer Selbsthilfegruppe für depressive türkischsprachige Mitbürger. Er könnte exemplarisch für den Selbsthilfetag stehen, der am Samstag zum ersten Mal im Hans-Sachs-Haus stattfand.
Aber: Haben Türken andere Depressionen als Deutsche oder Holländer? „Es gibt kulturelle Verschiedenheiten bei der Verarbeitung“, erklärt Nevin Karatas, Sozialpädagogin und Gründerin der Gruppe. „Gerade bei türkischen Männern äußern sich Depressionen in körperlichen Schmerzen, viele leiden unter Migräne.“
OB: „Wer seine Erfahrungen teilt, hilft sich selbst und anderen“
Angebote, Informationen, Austausch. Über 140 Selbsthilfegruppen gibt es in Gelsenkirchen, 46 davon waren im Atrium des HSH mit Ständen und Broschüren vertreten. Doch ist Selbsthilfe überhaupt das richtige Wort? Können sich Betroffene, die unter Krebserkrankungen, Tinnitus oder Alkoholismus leiden, überhaupt selbst helfen? Müsste es nicht eigentlich „Mithilfe“ heißen? Oberbürgermeister Frank Baranowski denkt nur eine Sekunde nach, dann sagt er zur WAZ: „Es ist beides. Wer seine Erfahrungen teilt, hilft sich selbst und anderen. Der Austausch ist das Schöne dabei.“ Baranowski hatte eine kleine Eröffnungsrede gehalten, er hält sich lange in seinem Amtssitz auf, geht von Stand zu Stand, diskutiert, hört zu.
Lange verweilt er bei den IQ-Kids, einer Intitiative für hochbegabte Kinder. Die sind zwar nicht krank, haben es aber trotzdem oft schwer, akzeptiert zu werden. „Ich rede eigentlich gar nicht gern darüber, wenn ich nach meinem Jonas gefragt werde“, sagt Ursula Föcking. Ihr zehnjähriger Sohn besucht die fünfte Klasse des St-Ursula-Gymnasiums in Dorsten, obwohl die Familie in Buer wohnt.
Diese Schule sei zwar nicht unbedingt auf hochbegabte Kinder spezialisiert, „sie hat aber andere Antennen für sie“, meint sie. Seine besondere Begabung habe sich gezeigt, als er sich „in der Schule gelangweilt hat“, erzählt Föcking. „Er war besser in Mathe. Er hat anders, um die Ecke gedacht.“ Jonas hat Freunde. Seine Hobbies sind Schwimmen, Klavier und Alt-Saxophon. Derzeit besucht er einen Elektronikkurs.
Tatsächlich eine Krankheit ist die Magersucht; schon Kaiserin Sissi wurden Essstörungen nachgesagt. Angelika Schwieren-Catania erzählt von ihrer Tochter. „Es fängt damit dass auf bestimmte Nahrungsmittel verzichtet wird.“
Selbsthilfekontaktstelle hilft, vermittelt und vernetzt
Die Yoga-Lehrerin, deren Tochter im Alter von 15 Jahren erste Essstörungen aufwies, erzählt: „Die Betroffenen tragen schlabbrige Kleidung, um ihre Knochigkeit zu verbergen. Viele ziehen sich zurück oder werden aggressiv. Und sie wollen, dass andere essen. Sie decken den Tisch.“ Betroffen sind zumeist Mädchen in der Pubertät. Der Magerwahn, von Models angeblich propagiert, trägt seinen Teil zu diesem Phänomen bei, meint Schwieren-Catania. Mädchen sagen dann: „Ich bin die Herrscherin meines Körpers. Mein Körper ist mein Kunstwerk.“ Heute ist ihre Tochter 31 und gesund; zwei Therapien haben geholfen.
Veranstaltet wurde der Selbsthilfetag von der Stadt Gelsenkirchen und der Arbeitsgemeinschaft Gelsenkirchener Selbsthilfegruppen. (www.selbsthilfe-ge.de) Die Selbsthilfe-Kontaktstelle informiert unter anderem über Selbsthilfegruppen, vermittelt in bestehende Gruppen, verweist auf professionelle Hilfe, hilft bei der Raumsuche, fördert den Erfahrungsaustausch und die Vernetzung der Selbsthilfegruppen untereinander, kooperiert mit Fachleuten und organisiert Fortbildungen für Selbsthilfe-Aktive.
Welche Angebote es gibt und wann sich die einzelnen Gruppen treffen, erfährt man auch in der Selbsthilfe-Kontaktstelle an der Dickampstraße 12. Dorthin kann sich auch wenden, wer Starthilfe für eine neue Gruppe braucht. Ansprechpartnerinnen sind Christa Augustin-Sayin und Ute Rosenthal, Telefon: 0209-9132810.
Neue Selbsthilfegruppe für Mobbing-Opfer geht an den Start
Bärbel Böning, die über 41 Jahre im Berufsleben stand, hat ihren eigenen, unschönen Ausstieg aus der Anstellung zum Anlass genommen, den von ihr vielfach beobachteten Mangel an Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern bis hin zu Mobbing beziehungsweise Bossing in Unternehmen in einer Selbsthilfegruppe zu thematisieren. „Ich möchte aufklären, informieren und gezielte Hilfe anbieten. Gegenseitige Wertschätzung und Ermunterung zur offenen Kommunikation sind oft Fremdwörter.“ Das sagte sie vor einigen Wochen im WAZ-Gespräch.
Das Ergebnis ihrer eigenen Recherchen: Oft stünden Beschäftigte unter einem enormen Druck. Solche Verhältnisse am Arbeitsplatz könne Menschen physisch und psychisch krank machen. Sie habe, sagte Böning, im Internet geforscht und viele Erfahrungsberichte gefunden, direkte Hilfsangebote dagegen aber nicht.
Sie möchte in einer neuen Selbsthilfegruppe ein Konzept der Hilfe mit und für Betroffene entwickeln. Starthilfe bekam sie von der Selbsthilfe-Kontaktstelle.Und nun ist es soweit: An jedem zweiten Mittwoch im Monat trifft sich die Gruppe „Hilfe zur Selbsthilfe bei Mobbing“ von 16.30 bis 18 Uhr im katholischen Ketteler Haus, Im Mühlenfeld 10 (Bulmke-Hüllen). Nächstes Treffen ist also am 14. September. Bärbel Böning bittet um vorherige Kontaktaufnahme: 0175 800 6070.