Gelsenkirchen. Nach der Festnahme des Gelsenkirchener Muhammed Ö. beziehen weder Polizei, Stadt, Staatsanwaltschaft noch Schule Stellung. Schüler sind schockiert.

Keiner will etwas sagen von den Stellen, die sich mit dem am Dienstag festgenommenen Muhammed Ö. aus Hassel offiziell befassen – Stadt, Staatsanwaltschaft Essen, Polizei, das Berufskolleg für Technik und Gestaltung, dessen Schüler der radikalisierte 17-Jährige nach WAZ-Informationen ist, und auch nicht die Bezirksregierung. Ö. steht im Verdacht, den Anschlag auf den Sikh-Tempel am 16. April mit vorbereitet zu haben.

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Die Verwaltung sieht „keinen Anlass zur Stellungnahme“, verweist auf das anstehende Spitzentreffen von Polizei, Stadt, Innenministerium und weiterer Beteiligter in der kommenden Woche. Dabei soll der Fall der Tempelbomber um den mutmaßlichen Haupttäter Yusuf T. (16), wie Muhammed Ö. ebenfalls aus Gelsenkirchen, aufgerollt und „Verbesserungen in der Zusammenarbeit“ der Stellen angestoßen werden. Die Stadt habe von der Festnahme des zweiten, 17-jährigen Gelsenkircheners erst aus den Medien erfahren.

Staatsanwaltschaft verweist auf "ausgeprägte Persönlichkeitsrechte"

Auch „kann die Bezirksregierung Münster keine Stellung nehmen“ zu Fragen, ebenfalls nicht der Schulleiter Uwe Krakau. Wegen einer „Feueralarmübung“ hatte der Oberstudienrat am Donnerstag um einen Zeitaufschub von einer Viertelstunde gebeten, ehe er sich den Fragen stellen wolle. Danach aber lehnte er jeglichen Kommentar ab.

Die Polizei Gelsenkirchen, zuletzt noch in der Kritik, weil der dazugehörige Staatsschutz den Hilferuf einer Lehrerin von Yusuf T. missachtet hatte, verwies wie die Bezirksregierung „auf die zuständige Staatsanwaltschaft Essen“. Dort blockte Oberstaatsanwältin Anette Milk, verantwortlich für die Pressearbeit, alle Fragen ab – u.a. wer was wann wusste und wie darauf reagiert worden ist – mit dem Verweis, dass Jugendliche und Heranwachsende „ausgeprägte Persönlichkeitsrechte“ genießen.

Mitschüler wollen "nichts mitbekommen" haben

Muhammed Ö. hatte in einem Ferienlager gewaltverherrlichende IS-Propaganda verbreitet, ein Jugendrichter hat das am 12. April mit erzieherischen Maßnahmen geahndet. Auch befand er sich wie Yusuf T. seit 2014 im „Wegweiser“-Präventionsprogramm, dem Projekt des Innenministeriums, das eigentlich ein Abrutschen in den Salafismus verhindern soll. Dass ein zweiter Gelsenkirchener in dem Programm ist, wusste auch die Verwaltung laut Stadtdirektor Manfred Beck. Ö. war zudem Mitglied in der 13-köpfigen Whatsapp-Gruppe, der auch die vier anderen Festgenommen angehörten.

Verblüfft und schockiert reagierte ein halbes Dutzend Schüler des Berufskollegs, dass unter ihnen „ein radikaler Salafist“ weilte. Sie empfanden das als „beängstigend“, haben aber von der Entwicklung und der Festnahme „nichts mitbekommen“. Ebenso wenig wie einige Nachbarn in Hassel. Angst, sagte einer sogar, ein Ex-Bergmann, habe er deshalb aber nicht.

Kommentar von Nikos Kimerlis: Das Vertrauen schwindet 

Im Fall des Muhammed Ö. müssen mehrere Stellen von seiner Radikalisierung und seinem Gefahrenpotenzial gewusst haben – Polizei, Stadt, Innenministerium, wohl auch die Schule – sonst wäre er kaum schon 2014 in dem Aussteigerprogramm gelandet.

Wenn sich die Einzelheiten zum Anschlag auf den Sikh-Tempel bestätigen, ist das Anlass zu immenser Sorge. Es ist damit zu rechnen, dass das Vertrauen in die Polizei verloren geht, dass die allgegenwärtige Politikverdrossenheit noch zunimmt.

Denn, bitte: Wie kann ich vor diesem Hintergrund annehmen, dass Behörden wissen, was sie tun, wenn die Kommunikation augenscheinlich untereinander so schlecht funktioniert? Insbesondere der Staatsschutz ist hier in der Pflicht. Weiß er von potenziellen Terroristen, so muss er konsequent reagieren und darf nicht zuschauen, bis es zu einem Anschlag kommt. Dann ist es zu spät!