Gelsenkirchen. Johannes Zwierzynski ist ehrenamtlicher Projektlotse in der Sotha. Er schenkt den dort Inhaftierten ein Ohr – und profitiert dadurch ebenfalls.
Die schwere Eisentür, die in den Vorgarten führt, ist für Johannes Zwierzynski mit einer Hand kaum aufzudrücken. Leichter geht es bei der zweiten Tür, die in den Eingangsbereich der Sozialtherapeutischen Anstalt (Sotha) führt: Zwierzynski steigt einige Treppen hinauf. An dem gläsernen Büro gleich links muss er seinen Ausweis durch die kleine Luke reichen und ihn für die Zeit seines Besuches abgeben. Es folgt der Gang durch den Metall-Scanner – als nichts piepst, darf Zwierzynski passieren. Die Sicherheitsschleuse in der Sotha kennt der 68-Jährige längst.
Seit nun sechs, vielleicht sieben Jahren engagiert der Gladbecker sich ehrenamtlich in der Justizvollzugsanstalt an der Munckelstraße. „Als ich mit 60 in Rente gegangen bin, hab ich mich gefragt: Was tuste? Ich hab in meinem Leben so viel Glück gehabt. Irgendetwas musste ich zurückgeben.“ Über einen Gesprächskreis ist er in die Lotse-Gruppe gestolpert – „durch reinen Zufall“, wie er sagt.
Über Gott und die Welt reden
Nun ist er Projektlotse. Das heißt: Er kommt jeden Montag bis zu drei Stunden lang in den geschlossenen Vollzug, in dem bis zu 57 Männer psychologisch begleitet und therapiert werden, macht dort eine Einzelbetreuung, spricht mit den Gefangenen. „Ohne, dass jemand zuhört oder mitschreibt“, sagt Zwierzynski. Über Gott und die Welt. Oft über Schulden. „Das ist eines der größten Probleme bei den Inhaftierten.“ Auch über das Leben nach der Haft spricht er mit den Gefangenen. „Wundere dich nicht, wenn die Leute draußen auf der Straße Selbstgespräche führen. Die führen keine Selbstgespräche – die telefonieren“, sagt Zwierzynski dann zum Beispiel. Die Inhaftierten hier hätten lange Haftstrafen, müssten langsam zurückgeführt werden in das richtige Leben.
Zurzeit betreut Zwierzynski drei Inhaftierte. Er weiß mittlerweile, wieso die Männer hier sind – sie haben es ihm nach einiger Zeit anvertraut. Für ihn jedoch sei das unwichtig: „Ich komme hier nicht rein, um irgendwelche Geschichten zu hören, die ich weitererzählen kann. Die Leute haben ein Recht darauf, dass man normal mit ihnen redet.“ Nur so viel sagt er: „Vom Schwarzfahrer bis zum Mörder ist alles dabei“.
Er steht nicht gerne im Mittelpunkt
Heute, da hatte Zwierzynski schon ein Gespräch: Über Lego. Er hat dem Inhaftierten einen Katalog des Bauklötze-Spieleherstellers mitgebracht – weil dieser so gerne baue und puzzele. „Den Katalog durfte ich mitbringen“, sagt er. Sein Lächeln zeigt, wie er über sich diese Kleinigkeit freut. „Ich muss das ja immer erst mit der Anstaltsleitung abklären.“
Zwierzynski ist ein ruhiger Mann. Über sein Ehrenamt und über die Gefangenen in der Sotha zu reden, das freut ihn. Damit jedoch im Fokus zu stehen, so wie es heute der Fall ist, das macht ihn nervös. Während des Gesprächs in dem tristen Raum, in den er auch sonst zur „Sprechstunde“ kommt, nestelt er oft an seiner dunkelgrauen Jacke, das Klicken der Kamera lässt seinen Blick abschweifen, unterbricht ihn manchmal bei seinen Erzählungen. Er habe dem Gespräch nicht zugesagt, weil er gerne im Mittelpunkt stehe, sondern vielmehr, weil er auf die Arbeit hier aufmerksam machen wolle, sagt Zwierzynski. Er ist einer von acht aktiven Ehrenamtlern in der Sotha, die von den Lotsen, aber auch von Caritas oder Diakonie kommen.
Nicht der große Unterhalter
„Ich bin normalerweise nicht der große Unterhalter“, sagt der ehemalige Betriebswirtschaftler, der 1977 der Liebe wegen von Bayern ins Ruhrgebiet zog. Jahrelang hat er bei Versicherungen und im Rechnungswesen gearbeitet. „Ich hatte nur Kontakt mit meinem PC.“ Deshalb hatte er große Bedenken, als er zum ersten Mal als Projektlotse in die Sotha kam. „Ich gehe sonst nicht auf Leute zu, wie also soll ich das hier machen?“, hat er sich vor dem ersten Gespräch gefragt.
Er hat den Schritt gewagt, sich überwunden – und selber viel davon profitiert, wie er heute sagt. „Ich habe viele Sachen gelernt, mit denen ich mich sonst nie auseinandergesetzt habe“, sagt Zwierzynski. Ein Häftling sei beispielsweise homosexuell gewesen, habe ihn um Rat gebeten, wie er in der Anstalt damit umgehen solle. „Da musste ich als streng katholisch erzogener Bayer erst einmal auch drüber nachdenken.“ Oft nehme er die Gespräche mit nach Hause und überlege, was er tun, was er beim nächsten Mal sagen könne. „Dann weiß meine Frau auch: Lass den Alten in Ruhe.“