Gelsenkirchen. Ruth Barra (78), die 1945 aus Ostpreußen kam, und der Syrer Abdulrahman Alkhalat (17) berichteten bei einer Podiumsdiskussion über ihre persönlichen Erlebnisse.
Aus der Vergangenheit für das Hier und Jetzt lernen; Empathie erzeugen für Menschen, die nach langer, gefährlicher Flucht in Deutschland, in Gelsenkirchen leben: Auch das sind Ziele der Ausstellung „geflohen, vertrieben – angekommen!?“ Die Dokumentation des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist seit Dienstag in der Bibliothek der Gesamtschule Berger Feld zu sehen.
Dass die Ausstellung im Schatten der Schalke-Arena Station macht, haben der Leistungskurs Geschichte der Klasse 12 nebst Fachlehrerin Anna Brückner im Rahmen der Unterrichtsreihe „Flucht und Vertreibung“ organisiert. Auch, dass die Eröffnung der Dokumentation zu einem ganz besonderen Ereignis für die Schulgemeinde wurde: Mit Ruth Barra (78) und Abdulrahman Alkhalat (17) saßen zwei Zeitzeugen im Podium, die Flucht, Gefahren, Entbehrungen und nicht zuletzt unendliche Angst selbst erlebt haben.
Ruth Barra war sieben Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter und dem jüngeren Bruder im bitterkalten Winter 1944/45 aus Ostpreußen flüchtete. Der Vater war Soldat. „Es war entsetzlich kalt. Von Soldaten, die Richtung Westen zogen, haben wir ein Pferd mit einem Wägelchen bekommen.“ Vier Wochen waren sie damit unterwegs. Das prägende Fluchterlebnis der kleinen Ruth treibt der erwachsenen Frau heute noch Tränen in die Augen. Alle Flüchtlinge mussten über das zugefrorene Haff, um den Russen nicht in die Hände zu fallen.
Drei Anläufe, um im Schlauchboot nach Griechenland zu kommen
„Drei Tage und drei Nächte waren wir auf dem Eis. Es gab Bombenangriffe. Das war furchtbar. Viele Menschen und Pferde ertranken hilflos in den Einschlaglöchern.“ Ruth, ihr Bruder und die Mutter landeten auf einem Transportwagen im erzprotestantischen Schleswig-Holstein. Nach Kriegsende, im Dezember 1945, holte der Vater sie nach Gelsenkirchen, wo bereits eine Tante aus Ostpreußen lebte. Zwei Zimmer in einem zerbombten Haus an der Cranger Straße war das erste Domizil in der neuen Heimat ...
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Für Abdulrahman Alkhalat war die Emscher-Lippe-Halle Herberge für die ersten vier Monate nach seiner Ankunft. Der 17-jährige Syrer war allein auf der Flucht vor dem Krieg in seiner Heimat. Und es brauchte drei Anläufe, um im Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland zu kommen. Er hat Menschen ertrinken sehen ... „Der erste Monat in der Emscher-Lippe-Halle war ganz schwierig. Kein Deutsch, keine Familie, keine Freunde ...“ Heute, sieben Monate und zwei Wochen später, sei es besser. Und „ja klar“, er will bleiben.
Abdulrahman Alkhalats und Ruth Barras Fluchtgeschichten trennen sieben Jahrzehnte. Was die Angst vor Krieg und Verfolgung angeht und die große Hoffnung, in der Fremde ein neues Leben aufbauen zu können, sind die Zwei ganz nah beieinander.