Gelsenkirchen. . Noch ist zwar jeder zehnte Schulanfänger in Gelsenkirchen übergewichtig. Aber die Tendenz ist rückläufig und auch sonst gibt es manches Positive.
Seit Jahrzehnten schon werden Kinder, bevor sie eingeschult werden, in Gelsenkirchen ärztlich untersucht. Um zu testen, ob sie gesund und weit genug entwickelt sind, um in der Schule gut starten zu können. Standardisierte Verfahren, die einen verlässlichen, differenzierten Vergleich ermöglichen, werden seit 2004 angewendet.
2010 wurden neue Standards festgelegt, „SOPESS“ heißt das neue Programm, nach dem alle Fünf- bis Sechsjährigen untersucht werden. Direkte, sichere Vergleiche sind somit eigentlich nur über die letzten fünf Jahre möglich. Und da ist der Trend unterm Strich eher positiv, freut sich Emilia Liebers, Kinder- und Jugendfachärztin und Abteilungsleiterin im Referat Gesundheit der Stadt. Und zwar positiv sowohl bezogen auf die Gesundheitsvorsorge als auch auf Übergewicht. Ja: Es gibt viele übergewichtige, ja sogar adipöse, also krankhaft fettleibige Vorschulkinder. Aber es werden nicht mehr, im Gegenteil. Sechs Prozent der Schulanfänger litten im vergangenen Jahr unter Adipositas, ebenso viele waren übergewichtig.
Jedes zehnte Kind ist noch zu dick, aber die Tendenz ist fallend
Mehr als jedes zehnte Kind war also deutlich zu dick. Aber: In den Jahren davor waren es mehr. Bis zu 15 Prozent der Kinder trugen in Gelsenkirchen bereits zu viele Kilos mit sich herum. Der Landesschnitt lag bei Adipositas im Jahr 2014 bei 4,4 Prozent der Schulanfänger, von Übergewicht waren 6,3 Prozent betroffen. Und es ist schwer, dagegen anzukämpfen. „Da geht es um mehr als Ernährung und Bewegung, auch wenn beides wichtig ist. Aber das Gewicht hängt von vielen Einflüssen ab. Übergewicht ist ein gesellschaftliches Problem,“ erklärt Gesundheits-Referatsleiter Klaus Mika. Den Weg weg vom Übergewicht zu finden sei vor allem Kopfsache. „Das ist, als würde ein Schalter umgelegt. Wenn der Bluthochdruck und der beginnende Diabetes plötzlich weg sind, motiviert das noch mehr. Das geht auch als Erwachsener noch. Aber es wird mit jedem Jahr schwerer“ weiß Mika.
„Die beste Vorbeugung gegen Übergewicht ist ein gutes Vorbild der Eltern“
Emilia Liebers erklärt, was helfen kann. „Stillen ist eine gute Vorbeugung gegen Übergewicht, gesunde Ernährung sowieso. Aber es geht auch darum: Wie bewegt sich die Familie? Wird in die Kita gelaufen? Wieviel Zeit verbringt man vor Fernsehen, PC oder Spielkonsole? Die Eltern sind Vorbild für alles. Die Genetik spielt beim Übergewicht eine minimale Rolle. Eher sind es übernommene Gewohnheiten.“ Ernährungsberatung sei wichtig – aber sie müsse sich in den Köpfen festsetzen und umgesetzt werden. Und „Kinder sollten in Sportvereine gehen, das ist wichtig. Regelmäßige Bewegung, auch bei schlechtem Wetter, gemeinsam mit anderen, das ist für die körperliche und soziale Entwicklung gut,“ wünscht sich Klaus Mika.
Reiten im Vorschulalter ist ungesund für Rücken und Hüfte
Gibt es Sportarten, die besonders empfehlenswert oder für Vorschulkinder ungeeignet sind? „Jede Sportart, die ihnen Spaß macht und die sie deshalb regelmäßig treiben, tut Kindern gut. Das Gesündeste ist Schwimmen, weil es den ganzen Körper kräftigt und schonend ist. Auch Judo ist sehr ganzheitlich. Das einzige, was Kinder unter sechs Jahren nicht tun sollten, ist Reiten, mit Ausnahme des Voltigierens. Beim Reiten werden Hüfte und Wirbelsäule zu stark belastet, bevor sie vollends gefestigt sind.“
Vorsorge untersuchungen werden heute von 94 Prozent der Eltern genutzt
Positiv ist auch: „Heute haben 94 Prozent der künftigen Schulkinder die U9, die letzte Vorsorgeuntersuchung vor der Schule absolviert. Die Einführung der gelben Vorsorgehefte hat sich sehr positiv ausgewirkt. Deshalb werden heute bei den Schuleingangsuntersuchungen auch deutlich weniger Erkrankungen erstmals festgestellt. In der Regel wissen Eltern dann schon, wenn ihr Kind etwas am Herzen hat.“ Und auch die Durchimpfung sei sehr gut. Die überwiegende Mehrheit der Kinder habe alle wichtigen Impfungen. Im Gegensatz zu ihren Eltern übrigens.
74 Prozent der Kinder sind sprachlich unauffällig
Ein Testteam besteht aus drei medizinischen Fachkräften. Nach Seh- und Hörscreening folgen eine Anamnese, der Check des Impfstatus und der Vorsorgeuntersuchungen und unter anderem motorische Tests wie auf einem Bein stehen, Seithüpfen, auf Hacken laufen.
Die körperliche Untersuchung mit Abtasten und Abhören übernimmt eine Ärztin. Bei Bedarf bekommen die Eltern Empfehlungen zu therapeutischen Maßnahmen. Logopädie bei Sprachentwicklungstörungen, Ergotherapie bei motorischen oder koordinatorischen Störungen. „Aber wir empfehlen Therapie nur bei wirklich krankhaften Störungen. Zuviel Therapie stört die Selbstwahrnehmung,“ warnt Emilia Liebers. Deshalb rate man lieber zu Sport im Verein oder Sprachübungen daheim oder mit Freunden. 74 Prozent der künftigen Schüler seien im Bereich Sprachentwicklung unauffällig gewesen, so die Ärztin. Was nicht heißt, dass diese alle gut Deutsch sprechen. Zweisprachigkeit werde dabei berücksichtigt.
Fördern statt später einschulen
Im Schnitt eine Stunde dauert eine Schuleingangsuntersuchung. Für das nächste Schuljahr waren zunächst 2426 Kinder registriert. Dank Zuwanderung sind es mittlerweile allerdings deutlich mehr. Der Reigen beginnt bereits im Herbst, mit denen, die als erste sechs Jahre alt werden. Untersucht wird täglich, an zwei Standorten. Dass Kinder – wie früher – „zurückgestellt“, also später eingeschult werden, kommt heute nur noch sehr selten, bei gewichtigen medizinischen Gründen vor. Entwicklungsverzögerungen werden ansonsten durch Fördermaßnahmen im Schulvorfeld und die längere Schuleingangsphase aufgefangen.