Gelsenkirchen. . Zwei Schulverweise, Staatsschutz, Polizei, Psychologen, Sozialarbeiter waren eingebunden. Trotzdem zündete Yussuf T. die Bombe am Essener Sikh-Tempel.
Es war seit Jahren bekannt, dass Yussuf T., der 16-jährige Gelsenkirchener, der gestanden hat, gemeinsam mit einem Essener Teenager am 16. April eine Bombe an einem Sikh-Tempel in Essen gezündet zu haben, hochaggressiv ist. Der damalige Leiter der Lessing-Realschule hatte bereits 2014 Alarm geschlagen, weil er den Eindruck hatte, dass der damals 14-Jährige sich radikalisiert. Der Junge pöbelte, drohte einer jüdischen Mitschülerin an, ihr das Genick zu brechen, sympathisierte offen mit islamistischen Gewalttaten.
Hausdurchsuchung und Amtsgericht
Schulpsychologen, Staatsschutz, Erziehungsberatung, Kinder- und Jugendmedizinischer Dienst waren eingebunden. Vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen wurde gegen ihn wegen versuchter Nötigung verhandelt. Immer wieder, so betonen alle Beteiligten, gab es Hilfsangebote plus Sanktionen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden soll er bereits 2015 geplant haben, in die dschihadistischen Krisengebiete in Syrien zu reisen, es gab eine Hausdurchsuchung. Nach Recherchen des WDR soll er in Kontakt mit einem Reisebüro in Rheinhausen stehen, das Verbindungen zu Salafisten pflegen soll.
Ein Kommentar von Sibylle Raudies
Es soll alles versucht worden sein bei Yussuf T.. Die Schulen haben sich vorbildlich verhalten, haben sehr früh Alarm geschlagen, Hilfe von mehreren Seiten geholt. Gefruchtet hat das alles bei dem als intelligent beschriebenen Jungen offenbar nichts. Dass der Staatsschutz so früh eingebunden wird und es trotzdem zu einem Anschlag kommen kann, bei dem nur der Zufall Todesopfer verhinderte, ist nicht nachvollziehbar.
Ein personell so dünn ausgestattetes Programm wie „Wegweiser“ kann nicht allein verantwortlich für solche Jugendlichen sein. Ein freier Träger war eingeschaltet und aktiv, die Mutter kooperativ – trotzdem zündete Yussuf T. die Bombe. Das bedeutet vor allem eins: Um die Radikalisierung Jugendlicher zu bremsen, reichen die Mittel offenbar nicht aus. Vorsorge, Alarmsysteme und Vernetzung müssen verbessert werden.
Gleich zu Anfang wurde der Junge ins NRW-Präventionsprogramm „Wegweiser“ aufgenommen. Acht Sozialarbeiter beraten in dem beim Innenministerium angesiedelten Programm 160 gefährdete Jugendliche. Bis zu vier Stunden Zeit je Woche kann ein Jugendlicher maximal begleitet werden. Gearbeitet wird grundsätzlich nur mit dem engsten Netzwerk: Schule, Eltern, Erziehungsberatung.
Vertrauen ist wichtig
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„Für eine erfolgreiche Arbeit müssen alle Akteure vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden darf sich nicht mit der Arbeit von Wegweiser vermischen, sonst ist das Vertrauenverhältnis zu den Jugenlichen gefährdet. Unsere Arbeit basiert auf Vertrauen. Wir versuchen, Stolpersteine für die Jugendlichen zu erkennen und aus dem Weg zu räumen. Helfen den Jugendlichen, kurzfristig positive Ziele zu erreichen, um eine Alternative zum Salafismus aufzuweisen“, erklärt Friederika Müller, Geschäftsführerin der IFAK (Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum) und vom Wegweiser-Projekt. Allerdings gebe es noch zu wenig Erfahrung mit Radikalisierung in diesem jungen Alter. Präventive Erziehungshilfen seien angesichts knapper städtischer Budgets selten. Zudem habe man bei erzieherischen Hilfen immer das Kindeswohl im Fokus, nicht die Gefährdung der Gesellschaft.
Drei Realschulen besuchte Yussuf T., zweimal wurde er der Schule verwiesen, weil er den Schulfrieden störte. Er zeigte sich immer aggressiver – wenn er überhaupt zur Schule ging. Laut Bezirksregierung ist offen, ob er vor Ende der Schulpflicht überhaupt nochmal eine Schule – außerhalb der JVA – besuchen wird. Derzeit sitzt er in U-Haft.