Gelsenkirchen. Restaurierung kinetischer Objekte – das ist Neuland. Ein Team der Technische Hochschule berät nun das Kunstmuseum Gelsenkirchen dabei.

Es kommt Bewegung in die Kinetik: Hinter den Kulissen des Kunstmuseums Gelsenkirchen an der Horster Straße wird derzeit an einer Zukunftsstrategie für den Erhalt und die neue Präsentation der kinetischen Sammlung gearbeitet, die zu den größten ihrer Art in Europa zählt.

Rund 80 Objekte mit Licht, Klang oder Bewegung sind hier dauerhaft ausgestellt, dürfen bestaunt, angefasst oder unter Strom gesetzt werden. Diese Art der Nutzung unterscheidet sie von anderen Kunstwerken, führt aber auch dazu, dass die kinetischen Werke sich mit der Zeit verändern, wenn nicht gar abnutzen. Immer wieder brennen Glühlampen durch, lösen sich Kabel, gelötete Verbindungen.

Auch Licht spielt bei Objekten aus der kinetischen Sammlung eine große Rolle. Wie hier bei Günther Ueckers lichtkinetischen Nagelobjekt von 1960.
Auch Licht spielt bei Objekten aus der kinetischen Sammlung eine große Rolle. Wie hier bei Günther Ueckers lichtkinetischen Nagelobjekt von 1960. © Funke Foto Services

„Wir sind uns dieser Gefahr bewusst, möchten aber, dass diese Werke auch weiterhin angefasst oder in Gang gesetzt werden dürfen, denn dafür sind sie ja von den Künstlern auch gedacht worden. Allerdings gilt es auch, die Werke für kommende Generationen zu erhalten“, erklärt Museumsdirektorin Leane Schäfer. Auch ihrer Stellvertreterin Christiane Wanken liegen die Werke am Herzen – und so nahm sie Kontakt zum „Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften (CICS) der Technischen Universität Köln auf. Denn hier arbeiten Wissenschaftler, die sich auf die Instandhaltung und Wiederherstellung von Kunstwerken aller Art spezialisiert haben.

Künstler reparierten Objekte häufig selbst

„Unser Forschungsfeld auf dem Gebiet der Kinetik ist noch relativ neu, wird aber immer stärker nachgefragt“, erzählt Professor Dr. Gunnar Heydenreich vom CICS, der mit sieben seiner Master-Studenten angereist ist. „Die meisten kinetischen Werke wurden ja in den 60er und 70er-Jahren geschaffen und bislang gab es den Vorteil, dass die Künstler oder ihre Assistenten selbst noch zum Reparieren vorbeikommen konnten. Aber jetzt sind viele der Künstler bereits verstorben, können nicht mehr für die Instandhaltung sorgen. Deshalb wird unsere Forschung auf diesem Gebiet immer wichtiger“, erklärt er.

Zwei Wochen lang hat Heydenreich mit seinen Studenten sich jedes einzelne Werk der kinetischen Sammlung in Gelsenkirchen genau angesehen. „Wir haben schriftlich aufgezeichnet, wie jedes Werk funktioniert, in welchem Zustand es sich befindet und welche Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden sollten“, erklärt Masterstudentin Julia Hartmann. Werke, die durch die Benutzung stark mitgenommen waren, wurden rot markiert – wie eine gefährdete Tierart.

Oft sind defekte Kabel oder Lötstellen die Ursache

„In vielen Fällen sind uns defekte Kabel oder Lötstellen aufgefallen“, wirft Gunnar Heydenreich ein. Sein Student Maximilian Mämpel macht dies an einem Beispiel deutlich: „Uns fiel auf, dass etwa bei dem Werk ’Lumino’ mindestens ein Mal pro Woche die Leuchtmittel durchbrennen. Dies kann unter anderem an den defekten Kabeln liegen, da das Werk direkt an einem Fenster und über einer Heizung steht. Dadurch entsteht eine Wärme-Kältebrücke, die dem Werk auf Dauer schaden kann“, so der junge Wissenschaftler. Die Empfehlung lautet daher: „Lumino“ muss umziehen.

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In der nächsten Phase des Projektes, das die Wüstenrot-Stiftung mit einem fünfstelligen Betrag unterstützt, soll es um konkrete Empfehlungen gehen. Dann wird ein Erhaltungskonzept erarbeitet. In der abschließenden dritten Arbeitsphase sollen die Kunstwerke restauriert werden. Vielleicht findet sich ein Masterstudent, der die Restaurierung eines Werkes zu seinem Studienprojekt macht? Die Auswahl der Kinetikwerke ist groß in Gelsenkirchen. „Für unsere Studenten birgt das Projekt die einzigartige Möglichkeit, ihr Wissen praktisch anzuwenden. Die Arbeit hier ist eine echte Win-Win-Situation“, schwärmt Professor Heydenreich.

Die Empfehlung: Eine eigene Restauratorenstelle im Haus einrichten 

Das Kölner CICS bildet junge Fachkräfte für fünf verschiedene Bereiche aus, unter anderem Wandmalerei und Steinarbeiten, Werke aus Holz und modernen Materialien, textile Werke, Grafiken, Papierarbeiten, Gemälde und Skulpturen. „Da wir eine Technische Hochschule sind, ist unser Ansatz sehr praxisorientiert“, erzählt Professor Heydenreich. „Die kinetische Kunst birgt dabei ganz besondere Herausforderungen, weil sie sehr oft von kreativen Künstlern ausgetüftelt und geschaffen wurde, die keine Maschinenbau-Ausbildung hatten“, merkt er an. „Deshalb ist später auch nur sehr schwer nachzuvollziehen, wie ein Werk funktionieren sollte. In den meisten Fällen gibt es jedoch keine Aufzeichnungen davon“, weiß der Wissenschaftler.

Prof. Dr. Gunnar Heydenreich (r.) vom Institut für Restaurierungswissenschaften der TU Köln mit Studenten beim Besuch im Kunstmuseum Gelsenkirchen.
Prof. Dr. Gunnar Heydenreich (r.) vom Institut für Restaurierungswissenschaften der TU Köln mit Studenten beim Besuch im Kunstmuseum Gelsenkirchen. © Funke Foto Services

Um so wichtiger sei der Einsatz von Fachkräften direkt im Museum: „Bei jeder Sammlung dieser Art stellt sich irgendwann die Frage, wo man finanzielle Schwerpunkte setzt: Bei der Instandhaltung der vorhandenen Werke oder Neuanschaffungen“, betonte Heydenreich – und empfahl für Gelsenkirchen die Schaffung einer eigenen Restauratorenstelle. Und Zeitschaltuhren, damit die Werke nicht überhitzen sowie gut durchgeplante Vorsorge: „Durch die neuen EU-Richtlinien werden die Glühbirnen und Leuchtmittel, die in vielen der kinetischen Lichtobjekte zum Einsatz kommen, nach und nach vom Markt verschwinden. Deshalb sollte man jetzt, so lange es diese Leuchtmittel vereinzelt noch gibt, für jedes Werk einen Vorrat anlegen. Denn wenn die Glühbirnen nicht mehr erhältlich sind, müssen sie mühsam einzeln nachgebaut werden. Und das wird dann richtig teuer.“