Gelsenkirchen. Historikerin Wiltrud Apfeld erinnert im Kulturraum der Flora in Gelsenkirchen an die Zeit der wuchtigen Möbel. Viele Schränke sind noch im Magazin eingelagert.
Sanft im Hintergrund erklingt Händels Feuerwerksmusik, während der Beamer wuchtige Möbelschätze aus den 30er Jahren an die Wand wirft. Im Kulturraum der Flora ist eine Reise in die Barockzeit angesagt. Allerdings liegen zwischen der Blütezeit des Gelsenkirchener Barocks und der musikalischen Epoche zwei Jahrhunderte.
Wenn die Stadt weit über Europas Grenzen hinaus Markenzeichen gesetzt hat, dann sicherlich mit den ruhmreichen Schalker Kickern und den wuchtigen Küchenschränken des so genannten Gelsenkirchener Barocks. Vor 25 Jahren hatte die Historikerin und heutige Leiterin des Kulturraums, Wiltrud Apfeld, eine Ausstellung im städtischen Museum über den Gelsenkirchener Barock initiiert. Mit einem Barockfest auf Schloss Berge endete bei FeuerwerksMusik und edlem Zwirn die Erinnerung an Traditionen. „Die Stadt“, so glaubt Apfeld, „emanzipierte sich am Klischeebild und erinnerte gleichzeitig an die Geschichte, die sich hinter dem Begriff Gelsenkirchener Barock verbarg.“ So wollten viele Bergbaufamilien, in denen gut verdient wurde, sich etwas leisten können, teilhaben an der Gesellschaft.
So wenig vergänglich wie barocke Klänge von Bach oder Händel scheinen auch die prunkvollen Möbelstücke zu sein, die zwischen den 20er bis 50er Jahren in vielen Gelsenkirchener Haushalten Aufstieg und Wohlstand symbolisierten und heute noch unter Liebhabern sehr begehrt sind. Die Schränke mit gewellten Türen und geschwungenen Füßen galten als Statussymbol. Ausgestattet waren sie mit messingbeschlagener Schublade, Klappfächern, Schütten für Mehl und Zucker, Vitrine, Barfach und später sogar einem Einbaukühlschrank.
Küche war Lebensmittelpunkt
Die Küche war damals Lebensmittelpunkt der Familie. Wiltrud Apfeld erinnert sich, dass viele der seltenen Möbel nach der Ausstellung mühelos verkauft werden konnten. In maschineller Serienproduktion entstanden die außen üppig und innen funktionell ausgestatteten Schränke aus Nussbaumfurnier. Doch Kritiker wetterten, Sie sahen die Schöpfungen aus Produktionsstätten im Lipperaum als Synonym für Kitsch und schlechten Geschmack. Dabei galten die barocken Klänge Händels doch als Hymne für den Frieden. So passt die harsche Kritik der vermeintlichen Kenner nicht in das friedliche Klangbild des Komponisten.
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Einem Liebhaber aus Frankfurt wurde pünktlich zu seiner Hochzeit ein Modell geliefert. In seinem Testament hatte er die Rückkehr nach Gelsenkirchen verfügt. Vor zwei Jahren kehrte es zurück. Auch im Bonner Museum steht ein Exemplar aus den 30er Jahren. In Nostalgie verbunden mit dem barocken Gelsenkirchen sind auch einige Zuhörer, die die Schrankfertigung als technischen Fortschritt und nicht als rückwärts gewandt betrachten. Ein Fan will ein T-Shirt zur Sammlung beisteuern, eine Frau schlägt eine Kampagne zurück zum GE-Barock vor, eine andere will ihre Sammlung zur Verfügung stellen.
Nach der Barockwelle folgt das eckige deutsche Wohnzimmer der 80er Jahre mit riesigen Wohnbaulandschaften. Da können fast barocke Gedankenspiele aufkommen, den nächsten Nostalgiemarkt anzusteuern und nach alten Schätzchen zu suchen. Die Stadt hat sie noch: Viele Ausstellungsstücke sind im Magazin eingelagert. Hin und wieder werden besonders schöne Schränke für Ausstellungen auch mal verliehen. „Der Gelsenkirchener Barock“, weiß Wiltrud Apfeld, „hat mit Lebenskultur und Image zu tun, er ist untrennbar mit der Stadtgeschichte verbunden.“