Gelsenkirchen. . Tonnen von Lebensmitteln landen auch in Gelsenkirchen jährlich im Müll. Gesetz in Frankreich – hier setzt man eher auf Eigenverantwortung.

Zu klein, zu krumm, zu viele Dellen: Mal Hand aufs Herz, wer schaut im Supermarkt nicht darauf, die scheinbar qualitativ hochwertigsten Lebensmittel zu kaufen? Denn schließlich haben sie ja alle ihren Preis. Doch was passiert mit den stiefmütterlich behandelten Bananen, Äpfeln und Co.?

Im besten Falle erbarmt sich doch noch ein Käufer, im schlimmsten Fall landen sie im Müll. In Zahlen: Laut einer Studie enden in Deutschland pro Jahr elf Millionen Tonnen an Lebensmitteln im Abfall.

Weniger Lebensmittel wegwerfen

Frankreich hat dieser Lebensmittelverschwendung nun gesetzlich einen Riegel vorgeschoben. Frankreichs Großhändler dürfen künftig keine Nahrungsmittel mehr wegwerfen oder unbrauchbar machen. Stattdessen sollen unverkaufte Lebensmittel gespendet oder anderweitig verwendet werden. Ansonsten droht eine hohes Bußgeld. Aber wie sieht es hierzulande aus? Brauchen auch wir ein solches Gesetz?

Werner Rybarski, Leiter des aGEnda 21-Büros, findet es persönlich als eine vernünftige Entscheidung. Denn auch er und seine Mitstreiter sehen beim Projekt „Zukunftsstadt 2030+“ das Thema Nachhaltigkeit, auch im Bereich der Lebensmittel, als einen wichtigen Punkt. „Lebensmittel in diesem Maße wegzuwerfen, ist alles andere als nachhaltig“, so Rybarski. „Jede Maßnahme, die dem entgegenwirkt, begrüße ich.“ Dennoch sieht Werner Rybarski die Bringschuld nicht nur bei den Lebensmittelhändlern – auch der Verbraucher sei da in der Pflicht. Denn eigentlich ist der Lebensmittelmüll durch Privathaushalte weit höher, als der durch die Händler.

Nachhaltige Idee

Ähnliche Worte auch von Michael Bartilla, Geschäftsführer des Bäckerinnungs-Verband Westfalen-Lippe. „Die Bäcker sind natürlich darauf bedacht, so wenig wie möglich wegzuwerfen“, so Bartilla. „Aber wenn der Kunde bis zur letzten Minute vor Ladenschluss ein frisches Brot verlangt, wird das ganze schwierig.“ Kein Bäcker möchte am Ende sein Brot im Müll sehen. Daher müsse man gemeinsam mit den Kunden daran arbeiten, dass diese auch akzeptieren, dass es am späten Abend eben nicht mehr die Auswahl gibt, wie noch etwa am Vormittag.

Eine nachhaltige Idee hatte da die Stadtbäckerei Gatenbröcker bereits vor über 15 Jahren. Mittlerweile drei Filialen unter dem Namen „Gutes von Gestern“ betreibt Gatenbröcker unter anderem in Gelsenkirchen. Dort werden Backwaren vom Vortag für den halben Preis verkauft. „Die Akzeptanz, dass Backwaren auch am nächsten Tag noch verkauft werden, war oder ist beim ‘normalen Kunden’ nicht da“, sagt Verkaufsleiter Tim Tröster. „Aber die Filialen laufen dennoch gut. Es sind zum Teil Kunden, die sich ein Brot zu normalen Preisen nicht leisten können, aber auch Kunden, die von unserer Strategie überzeugt sind und aus ideeller Überzeugung kommen.“


Der Rest, der dann tatsächlich übrig bleibt, so Tröster, werde entweder zu Paniermehl verarbeitet, oder aber der Tierfütterung zugeführt. Ob das jetzt einer gesetzlichen Regelung bedarf, damit tut sich Tim Tröster schwer. „Man sollte den Unternehmern schon freistellen, was sie mit der übrigen Ware machen“, so Tröster. „Es geht auch immer wieder ein großer Teil an die Tafel.“ Und die ist in Gelsenkirchen darauf angewiesen.

5000 Menschen in der Woche

Wer in der komfortablen Lage ist, sich im Supermarkt einzudecken, wie es halt gefällt, kann sich glücklich schätzen. Sigrid Weiser, Vorsitzende der Gelsenkirchener Tafel, weiß, dass es in Gelsenkirchen leider sehr viele Menschen gibt, die auf die ergänzende Maßnahme der Tafel angewiesen sind. „Im Moment sind es rund 5000 Menschen, die wir Woche für Woche mit Lebensmitteln unterstützen“, so Weiser. „Und momentan ist es, wie in jedem Jahr nach Weihnachten und Silvester, dass die Spenden eher rückläufig sind.“ Über 100 Geschäfte werden jeden Tag von den Mitarbeitern der Tafel angefahren. Nicht jedes Produkt kann jedoch für bedürftige Menschen mitgenommen werden. „Frischfleisch zum Beispiel ist ein heikles Produkt“, so Weiser. „Das geht in eine karitative Einrichtungen, wo es sofort gekocht wird und auf dem Teller landet.“

Aber auch die Ehrenamtlichen der Tafel mussten schon die Erfahrung machen, dass sie hinter Supermärkten Lebensmittel im Container gefunden haben, die an sich noch verwertbar gewesen seien. „Das Mindesthaltbarkeitsdatum bedeutet nicht, dass zum Beispiel Molkereiprodukte, wie Joghurt oder ähnliches ab diesem Zeitpunkt nicht mehr genießbar seien“, weiß Sigrid Weiser. „So ein Produkt kann auch mitunter nach vier Wochen bedenkenlosgegessen werden.“ Daher sieht Sigrid Weiser in der Gesetzgebung Frankreichs im Grunde ein Vorbild. Allein der Überprüfung, ob es dann tatsächlich auch eingehalten wird, steht sie eher skeptisch gegenüber.

Dr. Rita Zintz, vom städtischen Referat für Lebensmittelüberwachung steht einem verpflichtenden Gesetz eher kritisch gegenüber. „Die großen Hersteller haben für sich schon eine Infrastruktur geschaffen, so dass möglichst wenig der Lebensmittel im Müll landen, da steht ja auch ein finanzielles Interesse dahinter“, so Zintz. „Aber ich sehe auch jeden einzelnen Verbraucher in der Pflicht!“ Denn 82 kg pro Bürger pro Jahr an Lebensmittelmüll, sei einfach zu viel.