Gelsenkirchen. . Bürgermeisterliches Dreigestirn verliert wieder einmal. Stadtprinzessin Cornelia I. hat den Schlüssel – und bis Aschermittwoch die Macht.
Drei Leut auf einer kleinen Schatzkiste ... ganz schön eng. Das bürgermeisterliche Dreigestirn hält locker verkrampft durch. Niemand hört die betörenden Beschwörungsformeln der beiden Prinzessinen in ihren roten Wallegewändern. Keiner sieht, mit welchen Zuwendungen OB Frank Baranowski und das BM-Vize-Duo Martina Rudowitz und Werner Wöll bestochen werden. Zeremonienmeister Holger Schrader lässt den Handel nicht einen Moment aus den Augen. Auf der anderen Bühnenseite im Narrenkäfig des Hans-Sachs-Hauses schaut Festkomitee-Geschäftsführer Hans-Georg Schweinsberg Cornelia I. und Denis der I. und Jüngeren auf die Finger.
KarnevalJa, in der guten Stube der Stadt, neuerdings das „Gelsenkirchener Gürzenich“, ist wieder Ausnahmezustand. Weiberfastnacht – Rathaussturm mit ganz viel Kerlen als Unterstützer. Stadtprinz Philipp I. etwa neben seinem Bayern-Reimport Cornelia I.
Die ist, als die Drei von der Kiste verschwunden und die Tarnkamelle unter der jubelnden Narrenschar verstreut sind, richtig gerührt. Außer Atem (Himmel sei Dank, nicht „atemlos“) zwingt sie dem Riesenschlüssel ein Küsschen auf. Um dann den Narren ihrer Geburtsstadt zuzurufen: „Ihr seid das Ruhrgebiet und ich liebe Euch.“ Ach ja, mit Lebensmitteln vom Oktoberfest hat sie das ehrenwerte Dreigestirn des Hauses von der Kiste gekriegt. Blau-Weiß, immerhin ...
Hippies haben Hochkonjunktur
Hippies – besonders auffällig das Vorzeigemodell Klaus Haertel – Hexen, Polizistinnen (sehr verdächtig bei einer Hüterin der Ordnung: die Peitsche), Biene Maja, Tiere auf zwei Beinen und ganz viel stofflich-bunte Fantasie tummelt sich im abgetrennten Bürgerforum. Ja, ein Käfig voller Narren, in dem sich Bürger, versprengte Politiker, Verwaltungsmitarbeiter und Karnevalsvereine Arm in Arm ein Stelldichein geben. Nach 11.11 das Becherchen Bier oder ein Gläschen Piccolo in der Rechten. 300 Jecken mit und ohne Kostüm sind es bestimmt, die nicht kaputt zu kriegende Karnevalshymnen schmettern.
Auffallend viel dünne Plastikschicht auf Filzhütchen oder in Halbkörpergröße drängt sich vor der Bühne . Die Vereine haben den ersten Auftritt bei fiesem Regen am Bahnhof hinter sich. Anette Schwenzfeier, die ewig junge Frohnatur, verrät nach ihren Gesangseinlagen, sie sei etwas angeschlagen. Merkt man aber nicht. Vier Auftritte hat sie mit Peter Nienhaus und Helmut am Donnerstag insgesamt. Und lacht fröhlich: „Nur die Harten kommen in den Garten.“
Die Rathausweiber entern als Hippie-Mädels die Bühne. Mit klarer Botschaft: Give Peace a Chance. Nach der Melodie singen sie übrigens auch. Die „Mama“ der Truppe, Marlies Dropmann, sagt vorher noch schnell: „Wir wollen eine bunte, tolerante Stadt.“ Love and Peace in schwierigen Zeiten.
Am Ende steht auch OB Baranowski als Flower-Power-Boy auf der Bühne. Die Rathausweiber haben ihn artgerecht verkleidet: Stirnband, „mit Liebe geklöppelte“ Fransen-Weste, psychedelische Brille Marke extraschrill, Freundschaftsbändchen ... und eine XXL-Tüte Gras, „das macht Spaß“.
Flower-Power-Boy und Zenzi
Da lacht auch „Zenzi“, bis vor wenigen Minuten noch Prinz Philipp. Aber an Weiberfastnacht einen Mann an ihrer Seite. Ne, ne, da ist Hoheit Cornelia I. aber knallhart regelkonform. Hellblaues Mützchen, rosa Herzchenbrille, pinkes Etwas von Schal. Ja, die fünfte Jahreszeit in Gelsenkirchen erlebt ihren ersten gemeinschaftlichen Höhepunkt nach diversen Sitzungen der einzelnen Karnevalsvereine. Und Weiberfastnacht wird genutzt – zum Schlipse abschneiden, Bützken verteilen, Flirten ... In der guten Stube der Stadt gehört der Hintereingang dem ausgelassenen Frohsinn, während der Eingang Ebertstraße allenfalls durch ein paar versprengte Narren erahnen lässt, dass heute irgend etwas anders ist.
Allerdings. Heute taucht etwa ein Pirat auf, der verdächtige Ähnlichkeiten mit einem politischen Pirat hat. Oder gleich eine ganze Gruppe mit mutig-forschen Robin Hoods samt Bruder Tuck – im zivilen Leben VertreterInnen des Schulsozialdienstes. Hippie Haertel ist schon erwähnt. Aber die Mitglieder der katholischen Frauengemeinschaft noch nicht, die sich schon vor Eintreffen des Prinzenpaares am Stehtisch warm tanzen. Und abends bebt dann die Königswiese.