Gelsenkirchen. . Eine Radikalisierung von anfälligen Jugendlichen soll verhindert werden. Experten warnen: verstärkt junge Menschen werden geködert.

Nach den Ereignissen der letzten Wochen weiß jeder: Der Terror ist näher denn je. Viele Menschen fragen sich „kann das auch bei uns passieren?“ Die Verantwortlichen in Großstädten sind schon länger sensibilisiert – so auch in Gelsenkirchen. Bereits im März hatten sich Vertreter der städtischen Behörden mit muslimischen Organisationen zusammengesetzt, im September traf man sich dann zu einer Fachkonferenz zum Thema Salafismus.

Ein Handlungskonzept soll Anfang nächsten Jahres vorgestellt werden. „Das Konzept beinhaltet zum Beispiel das Thema Prävention bis hin zum Einzelfallmanagement“, so Stadtsprecher Martin Schulmann. „Wir müssen Schulen stärken, Pädagogen sensibilisieren, wie sie eine Radikalisierung etwa bei einem Schüler frühzeitig erkennen können.“

Lehrer sensibilisieren

Auch die Kontaktaufnahme zu Angehörigen von radikalisierten Jugendlichen ist im Handlungskonzept vorgesehen. „Der Schwerpunkt liegt auf der Jugendarbeit, weil sie aus einem normalen Alltag heraus radikalisiert werden“, so Schulmann. Eine eigene Beratungsstelle für Angehörige oder potenzielle Aussteiger gibt es in Gelsenkirchen nicht. Die Stadt verweist auf ihrer Internetseite auf das Programm „Wegweiser“, das seit April letzten Jahres unter anderem in Bochum erfolgreich läuft. „Wir leben im Ruhrgebiet – da braucht nicht jede Stadt eine eigene Anlaufstelle“, sagt der Stadtsprecher. „Bochum hat eine bewährte Struktur. Warum also diese nicht auch nutzen?“

Momentan werden im Projekt „Wegweiser“, das von IFAK, einem Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe betreut wird, 65 junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren durch zwei Sozialarbeiter betreut. Darunter auch Jugendliche aus Gelsenkirchen. Sie möchten sie vor dem Abdriften in die Radikalisierung bewahren. Aber auch potenzielle Aussteiger können sich bei Wegweiser melden. Die beiden Betreuer sind angesichts der sensiblen Thematik anonym.

Bei den „Wegweiser“-Mitarbeitern handelt es sich um zwei Männer, der eine mit arabischen Wurzeln, der andere türkischstämmig. Beide Betreuer sind sunnitische Muslime. „Es ist wichtig, dass die betroffenen Jugendlichen einen authentischen Ansprechpartner haben, der sich sowohl mit der Kultur als auch dem Islam auskennt“, sagt IFAK-Sprecher Sebastian Hammer. „Auch, dass die Jugendliche bei den Betreuern einen geschützten Rahmen haben, alles absolut vertraulich ist, ist für den Erfolg der Arbeit wesentlich.“

Überwiegend Jugendliche

Oft sind es Lehrer oder Eltern, denen die Veränderung der Betroffenen auffällt und dann bei „Wegweiser“ Rat suchen.

Dass es überwiegend Jugendliche sind, die für eine Radikalisierung anfällig sind, dafür hat Sebastian Hammer eine einfache Erklärung. „Jungen Menschen befinden sich in einer Orientierungsphase und suchen nach Halt, nach einer so genannten Peergroup, also Gruppe von Gleichgesinnten“, so der IFAK-Sprecher. „Ähnlich wie in der rechten Szene sind sie auch für radikalisierte Salafisten ein leichtes Opfer.“ Die Kontakte, so wissen auch die Mitarbeiter von „Wegweiser“ entstehen direkt auf der Straße. Zum Beispiel bei den „Lies-Ständen“ von Salafisten, die es immer wieder auch in der Gelsenkirchener Innenstadt gibt. Mit Koran-Geschenken versuchen Salafisten Jugendliche für ihre radikale Gesinnung zu gewinnen. „Das gehört ganz zentral zu den Ansätzen der radikalen Gruppen“, sagt Sebastian Hammer.

Aber verbieten? „Es fällt unter das Gesetz der Meinungsfreiheit, das ist sehr schwierig zu beantworten.“ Daher setzt „Wegweise“ in erster Linie auf Prävention.

Kontakt und Information über die anonyme Hotline 0234 640 50 81 oder unter www.wegweiser-bochum.de