Gelsenkirchen. Marina Kaspar kam als Vierjährige mit ihrer Familie nach Gelsenkirchen. Im typisch deutschen Alltag hat sie ihre jugoslawischen Wurzeln nie vergessen

Marina Kaspars Kindheitserinnerungen an die neue Heimat sind nicht sonderlich schmeichelhaft. Vier Jahre alt war sie, als sie mit den Eltern und ihrer jüngeren Schwester aus Jugoslawien kam und in Gelsenkirchen in eine Wohnung an der Josefinenstraße zog. „Das war ganz schlimm.“ Bad und Toilette auf dem Flur und draußen kein Kind, dass sie verstand. Heute kann die temperamentvolle Frau, inzwischen 47, darüber lachen.

Eineinhalb Jahre wohnte die Familie Marjanovic aus Montenegro in Schalke-Nord, dann zog sie nach Heßler. Für die kleine Marina ging es aufwärts – auch, weil sie lernte. In der Gemeinschaftsgrundschule am Fersenbruch drückte in einer Klasse gemeinsam mit anderen jugoslawischen Kindern die Schulbank, bekam Deutschunterricht. „Für die anderen Fächer hatten wir eine serbokroatische Lehrerin“, erinnert Marina Kaspar. Und dann ging’s zum Schalker Gymnasium. „Da kam die große Abrechnung.“ Wieder lacht die 47-Jährige, die damals im Fach Deutsch noch nicht so sattelfest war. Ein Problem: das Ypsilon. „So heißt der Buchstabe eben. Ich habe also statt Baby Babypsilon gesagt.“

Ypsilon hin, Grammatik her – Marina schaffte ihr Abitur und nahm es mit dem Studium der Sprachwissenschaften fürs Lehramt auf. „Ich habe mich an der Bochumer Uni morgens für Französisch und Englisch eingeschrieben.“ Und das Ganze Stunden später korrigiert – in Russisch und Englisch. Gern hätte sie ein Auslandssemester eingelegt. Aber: „Ich bin sehr behütet aufgewachsen. Und da konnte ich nicht mal eben ein Semester irgendwo studieren.“

Bis zum Staatsexamen hat es die patente Frau nicht gebracht. Stattdessen lernte sie mit 23 Jahren das Lotte-Lemke-Bildungswerk des Awo-Unterbezirks Gelsenkirchen-Bottrop kennen, wo sie quasi von jetzt auf gleich als Honorarkraft eine Mädchengruppe unter ihre Fittiche bekam. Marina blieb – über 20 Jahre. Sie heiratete 1997 „einen deutschen Mann“; 1998 kam ihre Tochter Helena zur Welt. Das Ende ihrer Ehe beschreibt sie heute so: „Ich bin seit 2013 glücklich geschieden.“

Mit Migranten, für Migranten

Heute arbeitet Marina Kaspar im kaufmännischen Bereich in einem Hertener Unternehmen. Das Unterrichten fehlt ihr, „aber dafür habe ich ja jetzt das MiMi-Projekt“. Also: Mit Migranten, für Migranten. Bereits 2004 hatte sie an den Evangelischen Kliniken an einer Fortbildung zur Sprach- und Kulturmittlerin im Gesundheitsbereich teilgenommen.

Die Frau, die von sich sagt, sie lese Bücher, „bis der Arzt kommt“, die alles Geschriebene über die Geschichte ihrer Heimat und den „Jugos“, wie sie lächelnd sagt, „aufgesogen“ hat, ist dem Land ihrer ersten vier Lebensjahre immer verbunden geblieben. Tochter Helena ist – auf eigenen Wunsch – serbisch-orthodox getauft und spricht wie ihre Mutter fließend Serbisch. „Ich zelebriere auch das serbische Oster- und Weihnachtsfest“, erzählt Marina Kaspar.

Und dann erst den 21. November, den Namenstag der Familie Marjanovic. „Namenstage werden bei uns groß gefeiert.“ Am Traditionsbewusstsein hat auch ihr deutscher Pass nichts geändert. Mutter und Tochter sind also nicht von ungefähr betrübt darüber, dass die serbische Trachten-Tanzgruppe 2012, nach sieben wunderbaren Jahren aufhörte – mangels Nachwuchs.