Gelsenkirchen. Kurz bevor der Krieg ihren Heimatort Kakanj in Bosnien erreichte, hat Ruzá Schenitzki ihre Siebensachen gepackt und ist nach Deutschland geflohen. Ihre kroatische Familie blieb in der Heimat. Die junge Frau blieb in Gelsenkirchen.

Kurz bevor der Krieg ihren Heimatort Kakanj in Bosnien erreichte, hat Ruzá Schenitzki ihre Siebensachen gepackt und ist nach Deutschland geflohen. Ihre kroatische Familie blieb in der Heimat. „Uns wurde damals gesagt: ,Rettet euch vor dem Krieg.“ Man schrieb das Jahr 1991, als die junge Frau – das Fachabi in der Tasche und den Traum vom Job als Kindermädchen in Wesel im Herzen – gerade angekommen sofort zu scheitern drohte. Aus dem eigentlich ausgemachten Job wurde nichts. „Da stand ich vor der Frage: Zurück nach Hause oder etwas Neues suchen.“ Ruzá, die damals kein Wort Deutsch sprach, beschloss: „Ich bleibe.“ Eine gute Entscheidung, wie sich schon bald herausstellen sollte...

Heute ist Ruzá Schenitzki glücklich verheiratet und Mutter dreier Kinder. Wir sitzen in der guten Stube der Schenitzkis in Horst und die 45-Jährige erzählt in aller Offenheiten von ihren Anfängen in Deutschland. Beschreibungen, die zuweilen eine nahezu komödiantische Note haben. Etwa ihre erste Begegnung mit der „laufenden Treppe“, die sie in ihrer Heimat nie gesehen geschweige denn auf einer Rolltreppe gestanden hat. Oder die Sache mit den Einkaufswagen. Ruzá hatte ihren ersten Lohn von der Arbeit im Hotel Union in Oberhausen in der Tasche, wollte einkaufen und dazu auch einen Wagen nehmen wie die anderen Kunden. Eine halbe Stunde habe es gedauert, bis sie durch Beobachtungen herausfand, dass man eine Mark in den Schlitz stecken muss. Sie lacht herzhaft über sich selbst. Learning by doing eben.

So hat sie auch Deutsch gelernt. „Kein Mensch war im Haus Union, mit dem ich mich verständigen konnte. Wir haben uns mit Händen und Füßen unterhalten.“ Einen Sprachkurs hat sie nie besucht. „Alles, was ich in der Hand hatte, habe ich erfragt und so oft wiederholt, bis ich das Wort kannte. So habe ich Deutsch gelernt.“

Ausländerbehörde kam vorbei

Anfang 1992 kam dann ihr Peer als Koch ins Hotel Union. „Er hat mir nach drei Tagen einen Heiratsantrag gemacht.“ Wieder lacht sie eingedenk ihrer rasanten Einstandsgeschichte im damals noch so fremden Deutschland. Schon ein paar Monate später, im Juni 1992, heiratete Ruzá ihren Peer standesamtlich. Und lernte danach preußischen Forschergeist kennen. „Als ich schon verheiratet und schwanger war, kam abends oft unangekündigt die Ausländerbehörde vorbei.“ Aber nein, Ruzá Schenitzki führte keine Scheinehe, um bleiben zu können.

Kirchlich wollte die junge Frau eigentlich in ihrer Heimat heiraten. „Aber da war doch Krieg.“ Also weiße Hochzeit in Deutschland, in Gelsenkirchen. Auch diese Geschichte ist in Ruzá Schenitzkis Gedächtnis eingebrannt. Ostern 1993 ist die werdende Mutter zur kroatischen Gemeinde gegangen, um zu beichten. „Der Pfarrer, der war uralt, hat mich nach der Beichte raus geschmissen“. Vor der kirchlichen Trauung schwanger? Um Himmels Willen ...

Also St. Hippolytus in Horst. Kein Vergleich: Der Gemeindepfarrer hat toleriert, dass das Paar ein Kind erwartete, und hatte auch kein Problem damit, dass Peer Schenitzki evangelisch ist. Am 2. September 1993 heirateten die Zwei kirchlich; gleichzeitig wurde Töchterchen Susan getauft. Kurz vor dem für Ruzá so wichtigen Datum wurde ihre Familie aus ihrem Heimatort in Bosnien vertrieben.

Als Susan getauft war, hat die Neu-Gelsenkirchenerin wieder Kontakt zur Kroatischen Gemeinde aufgenommen. Der „uralte“ Pfarrer war nicht mehr dort. Ihre Kinder – nach Susan kamen die Söhne Dominik (1996) und Sven (2002) zur Welt – besuchten die kroatische Schule, wurden zweisprachig erzogen.

Viele soziale Kontakte

„Ich fühle mich hier wohl. Ich bin ein offener Mensch und kann auf Leute zugehen. Vielleicht habe ich mich deshalb nie als Ausländerin gefühlt“, sagt Ruzá Schenitzki heute. Sie war von 2004 bis 2008 Vorsitzende des Ausländerbeirats, ist Mitglied im kroatischen Folkloretanzverein, hat auf Bitten des Stadtmarketings an der Aktion „Weihnachten bei Freunden“ teilgenommen und wie selbstverständlich ganz nebenbei zehn Jahre lang einen alten Mann aus der Nachbarschaft betreut und gepflegt. „Er war für meine Kinder wie ein Opa.“

Wenn Ruzá Schenitzki in Deutschland etwas „nicht so gut findet“, dann das: „Einer redet, alle regen sich darüber auf – aber keiner sagt etwas.“

Die 45-Jährige, deren „learning-by-doing-Deutsch“ so erfrischend vom Klang des Ruhrgebiets geprägt ist, schätzt es zu sagen, was sie denkt. Wie etwa beim Elternabend in der Schule ihres Jüngsten, als die Sorge vor zu vielen Zuwandererkindern geäußert wurde. „Ich bin dann aufgestanden und habe gesagt: Warum gucken Sie nicht einfach, wo diese Menschen Hilfe brauchen?“

So ist sie. Und das ist gut so.