Gelsenkirchen. . Heldentenor Siegfried Jerusalem bringt im Meisterkurs die Stimmen der Profi-Opernsänger zum Glänzen.
Den Meistersänger hält es nicht mehr auf seinem Stuhl: „Nein, das ist ein Liebeslied! Bei Dir klingt es ja wie: Hau ab!“ Der koreanische Tenor Hongjae Lim zuckt mit den Schultern und versucht es noch einmal mit der Tosca-Arie, legt diesmal ein wenig mehr schmachtenden Schmelz in die Stimme, einen Hauch weniger Forte, und schon schmilzt Siegfried Jerusalem hörbar dahin: „Wuunderbar!“
Wenn professionelle Opernsänger noch einmal die Schulbank drücken, dann hat das hohen Unterhaltungswert. Zumindest, wenn der Lehrer als einer der berühmtesten Wagner-Heldentenöre eine hohe Bühnenpräsenz besitzt. Und der agile 74-Jährige hat in der Tat pädagogische, aber auch echte Entertainer-Qualitäten.
Gast an allen großen Opernhäusern dieser Welt
Im gut besuchten Kleinen Haus des Musiktheaters durfte das Publikum drei Tage lang Mäuschen spielen, als Kammersänger Siegfried Jerusalem vier gestandenen Opernprofis in einem Meisterkurs den letzten Schliff gab. Dank des finanziellen Engagements der Sparkasse Gelsenkirchen, die bereits im vergangenen Jahr eine Werkstatt mit Weltklasse-Sopranistin Cheryl Studer ermöglicht hatte, kamen die Sänger in den Genuss eines Meisterlehrers und das Publikum in den der Begegnung mit einer Bayreuther Legende. Der gebürtige Oberhausener war Gast an allen großen Opernhäusern dieser Welt.
Dong-Won Seo ist ein klassischer Bass. Er ruht in sich selbst. Jede Unterbrechung, jede winzige Korrektur, nimmt er gelassen hin und auch an. Einmal singt er ein Verdi-Rezitativ komplett durch, das Publikum klatscht.
Zuckerbrot und Peitsche
Dann geht’s ans penible Korrigieren. „Bravo, sehr schön“, lobt Jerusalem, „aber jetzt noch mal mit mehr Legato!“ Der Bass holt tief Luft und verbindet die Worte zu einer himmlischen Linie. „Wunderbar!“, jubelt der Maestro, „aber zu laut.“ Zuckerbrot und Peitsche. Das Publikum bindet der Stargast immer wieder launig mit ein, erklärt, wie eine Stütze, eine Koloratur funktioniert, was Körperhaltung und Atmung mit dem Gesang machen. Eine Lehrstunde auch für die Zuschauer.
Mund weit auf, Mund geschlossen Lippen spitz, Unterkiefer locker: Auch Sopranistin Alfia Kamalova, eine der großen Stimmen des Musiktheaters, muss unter den gestrengen Augen des Lehrers an vermeintlichen Kleinigkeiten feilen. Ein Spiegel wäre jetzt gut, meint der Meister, damit die Sänger den Mund kontrollieren könnten. „Ist jemand vom Förderverein hier? Es sollten Spiegel angeschafft werden!“
„Ich würde nicht abhauen!“
Lacht das Publikum über Anweisungen an seine Schüler, scherzt Jerusalem: „Sie sollten das alle mal üben, dann wüssten sie, wie schwer das ist, was so leicht klingt.“ Die „Träume“ von Richard Wagner zum Beispiel. Mezzosopranistin Almuth Herbst singt sein letztes Wesendonck-Lied Vers für Vers, wieder und wieder. Oder eben Puccinis berühmte Arie, die der koreanische Tenor Hongjae Lim voller Verve zelebriert. Auf Siegfried Jerusalems anfänglichen Hinweis kam es übrigens spontan von einer Dame aus dem Publikum: „Ich würde nicht abhauen!“
Am Ende noch viele Fragen aus dem Publikum an den Gast. Auch diese: „Kann eigentlich jeder singen?“ Klare Ansage: „Jeder! Aber nicht jeder wird eine Weltkarriere machen.“