Gelsenkirchen. Am Hans-Schwier-Berufskolleg wurde umgebaut, damit Ulrich Mennenöh im Rollstuhl unterrichten kann. Im Alltag ist Inklusion noch nicht angekommen.

Ulrich Mennenöh (58) unterrichtet Evangelische Religion am Hans-Schwier-Berufskolleg, er ist mehrfacher Familienvater, in seiner Freizeit macht er Musik – und er ist seit über zehn Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Der gelernte Pfarrer hat Multiple Sklerose. Eine entzündliche Erkrankung im zentralen Nervensystem, die unter anderem zu Gehbehinderung führen kann. „Ich musste viel Geduld lernen in den letzten Jahren.“

Alles falle schwerer, gerade die Alltagsdinge, die unbewussten Handlungen, würden das 20-fache an Kraft kosten. „Wenn ich zum Beispiel etwas im oberen Geschoss vergessen habe, etwa ein Buch, das ich eigentlich gerne lesen möchte, lass ich es oft einfach dort liegen.“ Denn um nach oben zu kommen, muss er mit einem Treppenlift den schmalen Aufgang hochfahren. Und das ist mühselig. Erst einmal aus dem Rollstuhl hieven und dann gefühlte fünf Minuten hochtuckern. Und zurück.

Dankbares Leben

Doch der Lehrer ist glücklich und lebt sein Leben so normal wie möglich. „Ich definiere mich nicht über die Krankheit. Ich bin dankbar für meine Familie und meinen Beruf. Lehrer zu sein macht mir immer noch Spaß. Und meine Familie gibt mir viel Liebe. Oft halten es Angehörige von Menschen mit Behinderungen nicht aus, die Zusatzbelastung ist sehr groß. Wenn man einsam ist, wird alles viel schlimmer.“ Am Berufskolleg in Gelsenkirchen unterrichtet er seit über 21 Jahren. Als seine Krankheit fortschritt, kooperierte die Schule. „Im Jahr 2000 hatte ich einen argen Schub. Ich suchte bald das Gespräch mit dem Direktor und erklärte ihm, dass ich irgendwann nicht mehr laufen werden kann. Seit 2004 unterrichte ich im Rollstuhl.“

Überall Barrieren für Rollstuhlfahrer

Damit dies möglich wurde, mussten Maßnahmen getroffen werden: ein eigener Parkplatz, ein eigener Unterrichtsraum im Erdgeschoss, Rücksteller aus Türen entfernen, die Behindertentoilette auf den neusten Stand bringen. „Ich darf wegen Brandgefahr nicht mit dem Fahrstuhl fahren, das schottet mich leider etwas ab.“ Die Schüler haben kein Problem mit dem Lehrer im Rolli und helfen unaufgefordert. „Ich gehe locker damit um. Aber mir fällt auf, wie ungeniert ,Bist du behindert?` als Beleidigung unter den Schülern fungiert. Ich erkläre oft ,Außer mir ist hier niemand behindert’. Sprache verändert das Denken, das ist prekär.“

Die Barrieren für Rollstuhlfahrer seien immer noch an vielen öffentlich Gebäuden Standard. „In die Grundschule meines Jüngsten komme ich ohne fremde Hilfe gar nicht rein.“ Somit kommen auch Kinder mit körperlichen Behinderungen in viele Schulen nicht hinein. Und das in Zeiten, in denen Inklusion Topthema vieler Bildungsdebatten ist. Ebenfalls paradox: „In der Nähe meines Wohnhauses gibt es einen Laden, der sich ,Barrierefreie Bildung’ nennt. Dort gibt es eine hohe Stufe, die ich nicht rauf komme. Wenn ich anfange zu erzählen, wo überall Barrieren sind, muss ich schon beim Gefälle der Bürgersteige beginnen.“ Und dann sei die Liste schier endlos. Um Inklusion endlich voranzutreiben, müsse in den Köpfen der Menschen begonnen werden, am besten sofort.