Gelsenkirchen. . Weil Zuwanderer-Familien keinen Regel-Kindergarten kennen, bringt Gelsenkirchen einen zu ihnen – im Wohnwagen. Für 400 Kinder ein notwendiger Spaß.
Betty geht heute mit offenen rosa Puschen in den Kindergarten, Marta mit einem großen Loch in der Jacke und Beatrice mit braunem Kopftuch, den Knoten unterm Kinn. Aber tatsächlich gehen sie gar nicht, sie stehen und warten: Der Kindergarten kommt zu ihnen! So holt Gelsenkirchen seine Kinder ab, im wahren Wortsinn, mit einem Wohnwagen.
Nicht alle, natürlich, aber „die bettelarmen“, wie Jugendamtsleiter Alfons Wissmann sagt: Flüchtlinge aus Syrien, Zugewanderte aus Südosteuropa, Hunderte sind das, die gar nicht wissen, was ein Kindergarten ist. Vor ihren Türen parkt die „MoKi“, die mobile Kita, im Stadtteil Bismarck etwa, wo es „besonders trist“ ist, sagt Projektleiterin Yvonne Weiffen zögernd: ein ziemlich leerer Spielplatz, immerhin, daneben ein abgerissen aussehender Hinterhof, Mietshäuser, in denen die wohnen, die nichts Besseres finden (obwohl sie doch genau danach auf der Suche waren).
Erziehung auf Rädern - ein alltagsnahes Angebot
Und die „eine gewisse Scheu haben vor staatlichen Institutionen“, wie auch der Kindergarten eine ist. Wissmann aber, Chef des städtischen Trägers GeKita, mochte nicht hinnehmen, dass von 400 der neu zugezogenen ausländischen Kinder kaum 100 in seine Einrichtungen gingen, also brachte er eine zu ihnen – Erziehung auf Rädern. Ein „alltagsnahes Angebot“ ist das, Experten sagen „niederschwellig“: keine Anmeldung, keine Bring- und Abholzeiten, keine Gebühren. Seit April schon rollt die MoKi, 160 ihrer kleinen Besucher sind seitdem aus ihr in feste Spielgruppen gewechselt, fast 70 in den Regelkindergarten. Und wenn das große Auto naht mit seinen lustigen Strichmännchen auf dem Lack, läuft ihm eine Kindertraube nach.
An diesem eiskalten Morgen drängen sie sich alsbald zu 15 im Wohnwagen, sie basteln Ferngläser aus Klorollen und blicken hindurch in eine fremde, bunte Welt, in der es Wachsmalfarben gibt. „Wir haben Achtjährige“, sagt Yvonne Weiffen, „die hatten noch nie einen Stift in der Hand.“ Die Achtjährigen freilich kommen erst mittags, wenn die Schule aus ist, und oft bringen sie dann die kleinen Geschwister mit. Schon deshalb wissen die Erzieher nie, wann wie viele Kinder kommen, oft sind sie 40, Seyf und Solomon, David und Eduard, Betty und Marta.
Zu viel für den Wohnwagen, weshalb die MoKi jetzt auch einen festen Raum ohne Räder hat. Ein lange leerstehendes Ladenlokal in Ückendorf, das Weiffen auch „trist“ nennt, ein früheres Funsport-Geschäft zwischen Shisha-Bar, Dönerbude, An- und Verkauf; „Erleben und genießen“ steht noch überm Schaufenster. Dahinter spielen nun Mohammed und Karwa mit gespendeten Sachen auf Steinfußboden; sie sind erst zwei Wochen in Deutschland und können schon „grün malen“ sagen und „ich bin fertig jetzt“. Dafür, sagt Sozialarbeiterin Weiffen, „lohnt sich die Energie“, für die Fortschritte, die die Kinder machten. Sie wollen nicht „irgendein Angebot“ machen in Gelsenkirchen, sie wollen, dass die kleinsten unter den Neubürgern Deutsch lernen, wie man Müll wegwirft, dass die Schule um acht Uhr anfängt und nicht später. „Ganz schön viel für den Anfang“, heißt es mitfühlend in mehrsprachigen Broschüren.
Sebastian aus Rumänien ist zum ersten Mal da, schiebt Autos über ein Brett und singt, Mohammed hilft. „Kindern“, sagt Yvonne Weiffen, „ist es egal, wo jemand herkommt.“ Niemand hat gemerkt, dass ihre Mütter inzwischen gegangen sind, die sonst so gern mitspielen: weil sie ja auch noch nie eine Karnevalsmaske basteln konnten in ihrem Leben und noch nie Glitzersternchen auf Papier streuten. „Bislang wollte kein Kind nach Hause“, sagt Weiffen, manchmal fragt eines geradezu bang: „Ich schon Hause?“ Aber „zuhause gibt es auch kein Spielzeug“.
Familien sind „immer sehr dankbar“
Meist auch keine warmen Schuhe und keine zweite Hose, weshalb die Kinder winters schon mal in einer kurzen kommen. Und die MoKi, mobil oder im Ladenlokal, Regale vorhält voller Kinderkleider. Nur herrscht da immer Bedarf: Kindergartenkinder haben ja alle ähnliche Größen. Die Familien, so die Projektchefin, seien „immer sehr dankbar“. Neulich stand eine syrische Mutter in der Tür, sie blickte in das bunte Chaos und weinte. Vor Glück: Sie hatte ihr Kind erstmals wieder lachen sehen.