Gelsenkirchen. . Der Gelsenkirchener Jugendseelsorger Christoph Wichmann spricht im Interview über die Besucher der Christmette.

Bräuche, Traditionen und Rituale gibt es zur Genüge. Gerade an Weihnachten. Nehmen wir nur die Christmette. Ist der Kirchgang an Weihnachten heute nicht eher nur ein Kulturevent? Über die Werteverschiebung sprach die WAZ mit Christoph Wichmann, Rektor und katholischer Jugendseelsorger im Bistum Essen. Er betreut das Gleis X, die Kirche für junge Menschen.

Was führt ausgerechnet an Weihnachten so viele Menschen in die Kirche – ist es die Sehnsucht nach Heimat oder etwas anderes?

Christoph Wichmann: Zunächst einmal freue ich mich, dass noch so viele Menschen an Weihnachten das Bedürfnis haben, in die Kirche zu kommen und einen Gottesdienst zu feiern. Das ist erstmal etwas Positives und sollte nicht kleingeredet werden.

Und anscheinend spüren viele Menschen, dass Weihnachten wesentlich mehr ist als Glühwein, Kekse und Geschenke – es gibt so etwas wie eine Sehnsucht nach einem Mehrwert im Leben und an Weihnachten ist das greifbar. Für mich ist das weniger Event, aber sehr viel Ereignis und Kultur, eben christliche Kultur.

Wie kann Kirche den weihnachtlichen Ansturm für sich nutzen?

Wichmann: Mir ist als Seelsorger wichtig, dass die Menschen kein schlechtes Gewissen haben, weil sie vielleicht nur an Weihnachten oder Ostern kommen – das ist auf jeden Fall besser, als würden sie nie kommen. Daher sind die, die kommen, genau die Richtigen! Ich würde mir wünschen, dass alle Gottesdienstbesucher nach dem Gottesdienst glücklicher sind als vorher, dass sie einen Positivkontakt mit Kirche erleben und ein wenig tiefer Jesus kennenlernen. Und vielleicht kommen so auch einige auf den Geschmack und lassen sich öfter blicken.

Ist der Seelsorger heute mehr Entertainer und muss die Kirche eine tolle Show bieten?

Wichmann: Die Weihnachtsbotschaft ist so stark, welche Show sollte das übertreffen? Gott wird Mensch – mehr geht nicht!

Wie beurteilen Sie es, dass sich manche Muslime Weihnachtsschmuck an die Fenster hängen, vermischen sich Glaube, Rituale?

Wichmann: Ich kenne muslimische Familien, die ihre Wohnung weihnachtlich schmücken oder türkische Kinder, die jeden Tag ein Törchen am Adventskalender öffnen. Ich sehe diese Entwicklungen sehr entspannt. Auch bei unserer Sternsingeraktion im Januar ziehen immer muslimische Kinder als Könige durch die Straßen der Stadt, das ist doch ein gutes Zeichen.

Kardinal Meißner hat gesagt, Weihnachten sei das intimste Fest, nicht das höchste. Wie sehen Sie das?

Wichmann: Wenn ich mit meinen Freunden über die Geburt ihrer Kinder spreche, dann erzählen sie mir immer, dass das für sie eine zutiefst intime und außergewöhnliche Erfahrung sei. Warum sollte das bei der Geburt Jesu anders sein?

Wenn das so ist, dann muss man im Zusammenhang mit Intimität auch den Begriff der Familie einbeziehen – fehlt Ihnen da was?

Wichmann: Ich habe eine Familie, aber keine Ehefrau und keine eigenen Kinder. Da geht es mir als Priester wie Millionen anderer Menschen in Deutschland auch. Die Intimität des Weihnachtsfestes kann ich aber trotzdem – glaube ich – ganz gut begreifen.

Jesus hat seine Jünger dazu aufgerufen, ihre familiären Bindungen zu lösen - wie passt das zur Tradition des Familienfestes?

Wichmann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jesus bei der Berufung der ersten Jünger das Weihnachtsfest als Familienfeier im Blick hatte.

Oft ziehen Jugendliche am Weihnachtsabend noch in eine Disko, wie passt das zum Familienbegriff?

Wichmann: Wir haben uns früher als Messdiener nach der Christmette in St. Urbanus auch noch auf ein Bier mit dem Kaplan und anderen Freunden getroffen. Ich würde mich trotzdem als Familienmenschen und katholisch bezeichnen. Also sollten wir das nicht zu hoch hängen, solange das Wesentliche im Blick bleibt. Die Jugendlichen heute sind nicht schlimmer oder schlechter als wir damals.

Der 25. Dezember ist als Datum nebensächlich 

Die Geburt Jesu wird auf den 25. Dezember datiert, obwohl der Tag wohl erst 300 Jahre später so fixiert wurde. Bis wohin glauben Sie eigentlich an die Weihnachtsgeschichte?

Wichmann: Ich glaube fest daran, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist, und dass das ein historisches und epochales Ereignis war. Der 25. Dezember als Datum ist nebensächlich. Weihnachten ist zu groß für einen Tag.

Wie beurteilen Sie den Brauch des Schenkens?

Wichmann: Mir macht Schenken Spaß, aber die Geschenkehysterie an Weihnachten ist verrückt. Wir erzeugen uns da selber einen solchen Druck, der völlig sinnlos ist und bekloppt macht und vor allem geht so die Freude am Schenken verloren.

Was ist Ihr schönstes Geschenk, das Sie anderen zu Weihnachten gemacht haben, oder das Sie selbst bekommen haben?

Wichmann: Keine Ahnung, letztens habe ich einen Schalke-Waschbeckenstöpsel verschenkt – ich fand’s echt witzig. Und zum zweiten Teil der Frage: Ich habe seit vier Jahren ein Patenkind, dadurch erlebe ich Weihnachten noch einmal ganz anders. Das würde ich als ganz besonderes Geschenk bezeichnen. Kinder mit ihren staunenden Augen an der Krippe zu sehen, das ist jedes Jahr ein Highlight für mich.

Welches ist Ihre Lieblingsfigur in der Weihnachtsgeschichte?

Wichmann: Ich finde den Esel ganz sympathisch – etwas störrisch, aber voller Vertrauen.

Abschließend: Der Gang zur Christmette, ist er nun Ritual oder Glaube?

Wichmann: Ritual und Glaube zugleich! Und eine riesige Chance für uns als Kirche, Menschen diese besondere Zeit zu schenken.