Gelsenkirchen. . Langzeitarbeitslose spielten im Gelsenkirchener stadt.bau.raum parallel zum Sprachtraining und zur Weiterbildung Theater. Die Idee stammt vom Bochumer Bildungsträger „defakto“. Mit dem Projekt, das vom Integrationscenter für Arbeit (IAG) Gelsenkirchen gefördert wurde, sollen die Teilnehmer ihr Selbstbewusstein stärken.

Für 21 Akteure symbolisiert das aufgebaute Podest im stadt.bau.raum die Bühne des Lebens. Sie sind seit über einem Jahr arbeitslos, büffeln seit neun Monaten täglich Deutsch, lernen beim Sozialtraining Verhaltenstugenden und Bewerbungstechniken. Und jetzt stehen sie zum ersten Mal auf der Bühne, haben neben der beruflichen Vorbereitung das Theaterstück „Heute sind wir nicht wir“ einstudiert.

Wie baut man Menschen, die als Langzeitarbeitslose oft die Hoffnung auf einen Job aufgegeben haben, wieder auf, stärkt ihr Selbstbewusstsein, festigt bei ihnen den Glauben an sich selbst. Viele haben es satt, immer wieder die Schulbank zu drücken und anschließend weiter von Hartz IV leben zu müssen.

Reiner Lipka, Geschäftsführer des Integrationscenters für Arbeit (IAG), war von der Idee des Bildungsträgers „defakto“ angetan, neue Wege zu gehen. Lipka: „Zunächst war ich jedoch skeptisch, ob das Theaterprojekt „mund:ART“ parallel zur Weiterbildung funktionieren kann. Ich bin überrascht von dem Ergebnis, sehe die Leidenschaft der Teilnehmer, selbst etwas auf die Beine gestellt zu haben.“ Lipka ist überzeugt, dass die Arbeitslosen mit dem gewonnenen Selbstvertrauen und ihrer gestärkten Persönlichkeit auch den nächsten Schritt beim Arbeitgeber meistern werden.

Projekt gibt Selbstvertrauen

Menschen aus 15 verschiedenen Nationen schlüpfen in die Rollen von Fließbandarbeitern, die am stumpfsinnigem Akkordrhythmus zerbrechen. Menschen werden zu Maschinen. Von der Anspannung hinter der Bühne ist im grellen Rampenlicht nichts mehr zu spüren. Auf Transparenten hat Vitalij Schlote, Stoppuhren, wartende Menschengruppen, Hochhäuser als Symbol einer hastenden Industrie-Gesellschaft aufgemalt.

Mit dem Theaterstück wollen die Darsteller Sehnsüchte ausdrücken, das Leben üben, mehr als nur ein Rad im Produktionsprozess sein. So ist im zweiten Akt auch das Verlangen von Freiheit und Freude zu spüren. Die Darsteller vereint das gemeinsame Bühnenspektakel. Wer in ihre entspannten und fröhlichen Gesichter blickt, merkt, wie sehr sie das vorübergehende gemeinsame Glück in der Theaterwelt genießen, Worte und Träume zum Leben erwecken. Ihre Kostüme haben sie selbst entworfen: Vitalij, der als Einhorn einen Papierhut auf dem Kopf trägt, Smajl, der die tanzende Freiheitsstatue verkörpert, oder Arkadiusz, der als beweglicher Baum über die Bühne huscht.

„Anna“, sie stammt aus Polen, wünscht sich den Erfolg auch im realen Leben. Die 35-Jährige hat in der Pflege gearbeitet, hofft, eine Stelle als Seniorenbetreuerin zu finden. Raoui Ouni, gebürtiger Tunesier, ist von seinem Auftritt selbst überrascht. „Ich habe noch nie auf der Bühne gestanden.“ Der 42-Jährige, der bei Ford in Köln gearbeitet hat und seit zwei Jahren arbeitslos ist, glaubt, dass seine Augen jetzt offener sind, das Projekt ihm mehr Selbstvertrauen gegeben hat. Die vielen Luftballons, die Schauspieler und die zahlreichen Besucher am Ende in die Luft schicken, symbolisieren die Leichtigkeit des Spiels und die Träume des Lebens.

Arbeitslose lernen, an sich zu glauben

Mit dem Projekt „mund:ART“ sollen Arbeitslose neben dem Spracherwerb auch lernen, an sich zu glauben. Seit einem Jahr arbeitet der Bochumer Bildungsträger „defakto“ mit dem Jobcenter zusammen. Bundesweit gibt es 20 Projekte, mit denen die herkömmliche Bildungsarbeit ergänzt wird. Theaterpädagogen, Sprachtrainer und Jobcoaches stehen Arbeitslosen zur Seite.

Jobcoach Alexandros Nikolaidis, der in Griechenland Kommunikationswissenschaften studierte und in Bochum promovierte, ist beeindruckt von der Zusammenarbeit in der Gruppe. „Es gab nicht nur enorme Altersunterschiede, sondern vom Analphabeten bis zum Akademiker waren auch die Bildungsvoraussetzungen unterschiedlich. Es war eine Kommunikation auf Augenhöhe.“ Die Teilnehmer sind zwischen 18 und 45 Jahre alt.

Durch tägliche Interaktion stellte sich allmählich heraus, wer welche Rolle übernimmt. Mit Bildungsscheinen konnten sich Arbeitslose für das Projekt anmelden. Das Jobcenter hatte 65 Langzeitarbeitslose eingeladen, 24 entschieden sich für das Theaterprojekt. Die Coaches begleiten die Teilnehmer über eine assistierte Vermittlung auch nach Abschluss des Projekts bei der Suche nach einem Arbeitsplatz.