Gelsenkirchen-Altstadt. Ein Schaufenster bei Optik Oppermann ist bis Ostern ein Zeitfenster für Gelsenkirchener Gymnasiasten. Sie spürten der lokalen NS-Geschichte nach.
Die Botschaft im Schaufenster ist schwer zu übersehen. Vom Duktus erinnert sie an NS-Propaganda, an Hetze, wie sie einst nicht nur der „Stürmer“ oder der „Völkische Beobachter“ vor und in der Zeit der Hitler-Diktatur verbreiteten. Und das ist so gewollt. Sein Optiker-Angebot hat Axel Oppermann aus dem Schaufenster seines Fachgeschäfts an der Hauptstraße 16 geräumt und Platz geschaffen für ein „Zeitfenster“. Es widmet sich dem „braunen Haus“, der einstigen Zentrale der NSDAP im Gau Westfalen-Nord.
Gelsenkirchener NSDAP-Zentrale lag am Hauptmarkt
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Die NSDAP-Zentrale lag ganz in der Nähe am Hauptmarkt. Sie war, wie es auf dem Fensterplakat heißt, „Durchlauferhitzer brauner Gewalt“ in Gelsenkirchen. Ein Geschichtskurs des Grillo-Gymnasiums widmete sich intensiv dem Ungeist und der Verfolgung in Gelsenkirchen – und den rechtsradikalen und national-völkischen Kräften, die dem Faschismus den Weg ebneten und 1933 die Demokratie samt Weimarer Republik beerdigten. „Demokratie als Feind“ trägt das Projekt folgerichtig als Untertitel.
Viele Taktiken der NS-Zeit dienen auch dem rechten Spektrum
„Nationalsozialismus“ und „Herrschaftsstrukturen“ sind in der zwölften Klasse im Grillo-Grundkurs Geschichtsthemen. Dass der Unterricht über den Klassenrahmen hinaus geht, in Zeitungsarchive oder auch die Gelsenkirchener NS-Dokumentationsstätte in Erle führt, war Lehrerin Katharina Schulenberg wichtig. „Die Identifizierung mit dem Thema ist wesentlich größer durch die lokale Anbindung“, glaubt die Pädagogin. Und auch ihrer Schülerinnen und Schüler teilen nach der Projektzeit diese Erkenntnis. „Das berührt einen anders auf emotionaler Ebene, wenn man weiß, was lokal passiert ist“, findet Hans Gebauer (17).
Stolpersteine vor dem Geschäftshaus
Optiker Axel Oppermann hat „keine Sekunde“ gezögert, als er vom ISG gefragt wurde, ob er für rund sechs Wochen ein „Zeitfenster“ freiräumt. Die Geschichte von Tätern und Opfern in Gelsenkirchen zur NS-Zeit ist ihm buchstäblich räumlich nahe.
1894 wurde das Gebäude an der Hauptstraße 16 errichtet, in dem er sein Geschäft hat – von einer jüdischen Metzgerfamilie. In der NS-Zeit übernahm der „arische“ Metzgergeselle den Laden. An die vertriebenen Besitzer Paul, Helene und Hella Grüneberg erinnern „Stolpersteine“ im Pflaster der Hauptstraße.
In die „Vergangenheit zu schauen, um auch für die Gegenwart und Zukunft zu lernen“, ist den Akteuren hier wichtig. „Viele Taktiken, die die NSDAP nutzte, gleichen teilweise dem rechten Spektrum heute“, stellt Emina Burekovic (18) fest. Wie das braune Haus lokal zum ideologischen Mittelpunkt der Nationalsozialisten in Gelsenkirchen, aber auch zu einem Fixpunkt für die Stadtgesellschaft wurde, haben die Schüler nachgezeichnet. „Viele assoziieren mit dem Nationalsozialismus ja die nationale Ebene, aber die entscheidenden Dinge sind in den Kommunen passiert“, meint die 18-Jährige. Hans Gebauer schlägt den Bogen ins 21. Jahrhundert: „Auch heute wissen viele nicht, was in der Politik passiert“, sei das Demokratieverständnis oftmals nicht sonderlich ausgeprägt.
Zehn Zeitfenster in verschiedenen Städten geplant
13 Grillo-Gymnasiasten arbeiteten braune Historie auf. Zur Seite standen ihnen dabei das ISG, das Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen und das Münsteraner Bildungsprojekt „Villa ten Hompel“. Dort bereitet man eine Reihe von zehn Zeitfenstern in verschiedenen Städten vor. Zur Gelsenkirchener Schaufensterinstallation wurde Donnerstag auch das mit dem Bildungsprojekt erarbeitete Extrablatt des „Westfälischen Boten“ mit Texten zur Situation in Gelsenkirchen veröffentlicht. .