Gelsenkirchen-Buer. . Seit 25 Jahren gibt es die Dokumentationsstätte in Erle. Sie zeigt, wie sich Gelsenkirchener beteiligten an der Terror-Herrschaft der NSDAP.

„Ich freue mich, dass sie hier sind. Denn es zeigt mir, dass dieses finstere Kapitel deutscher Geschichte für sie alles andere ist als ein Vogelschiss in der Geschichte.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Oberbürgermeister Frank Baranowski nach rechts außen in der Parteienlandschaft blickt bei seiner Rede zum 25-jährigen Bestehen der Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“. Aber die Anspielung auf das Gauland-Zitat ist der deutlichste Querverweis.

Erschreckende Aktualität

Frank Baranowski, Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen.
Frank Baranowski, Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen. © Olaf Ziegler

Das Thema der Aufarbeitung des deutschen Nationalsozialismus sei von „erschreckender Aktualität, was zeigt, wie wichtig diese Gedenkstätte ist“. Die ist genau vor einem Vierteljahrhundert eröffnet worden.

Das Datum ist kein Zufall. Der 8. Mai, den der einstige Bundespräsident Richard von Weizsäcker den „Tag der Befreiung“ nannte. „Dieser Termin wurde bewusst gewählt. Es ist der Jahrestag der Befreiung Europas und der Welt“, betont auch Daniel Schmidt, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte und damit auch der Dokumentationsstätte. „Mit dieser Einrichtung ist das Bekenntnis verbunden: Nie wieder! Dazu stehen wir bis heute.“

Täterort, kein Tatort

Daniel Schmidt erinnert an den Ursprung der Einrichtung, als Mitglieder der Gruppe „Gelsenkirchener Autoren“ eine Entdeckung machen – hinter einer Tapete: ein Parteiprogramm der NSDAP. „Die Freilegung des Reliktes war der Ausgangspunkt für die Gründung.“ An einem Täterort, der aber kein Tatort gewesen sei.

Dennoch wird hier gezeigt, wie sich Gelsenkirchener beteiligten an der Schreckensherrschaft, ein Rad waren in deren Getriebe. „Dass sich eine Stadt derart umfangreich der Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit stellt, war 1994 keine Selbstverständlichkeit – und ist es bis heute nicht.“

Vom Polizeirevier zur Dokumentationsstätte

Das Haus an der Cranger Straße 323 war einst das Polizeirevier von Erle, bis es dann, ab 1933, zum Quartier der Ortsgruppe Buer-Erle der NSDAP umfunktioniert wurde.

Am 8. Mai 1994 wurde die Dokumentationsstätte eröffnet. Sie teilt sich das Gebäude heute mit der Stadtteilbibliothek.

Die Dokumentationsstätte ist dienstags bis freitags in der Zeit von 10 bis 17 Uhr geöffnet, in den Schulferien jedoch nicht. Zudem gibt es zahlreiche Sonderveranstaltungen, über welche die Internetseite der Stadt Gelsenkirchen informiert.

Seit 25 Jahren leistet die Dokumentationsstätte Aufklärungsarbeit, wendet sich bewusst immer wieder an junge Menschen, arbeitet mit Schulen zusammen. „Seit 25 Jahren ist es unser Ziel, dass jeder Schüler in seiner Schullaufbahn einmal hier war“, erklärt Daniel Schmidt im Gespräch. Doch das ist bislang noch nicht gelungen. „Eine Routine wäre ideal. Das ist leider schwer zu realisieren. Das ist letztlich Sache der Organisation der Schulen. Aber wir arbeiten jeden Tag daran.“

Alle Bürger der Stadt ansprechen

Dabei gehe es darum, alle Bürger der Stadt gleichermaßen anzusprechen. „Unsere Stärke ist, das abstrakte Thema greifbar zu machen und zu verdeutlichen, das ist auch hier passiert.“ Die Bedeutung solchen Engagements steige: „Die Großelterngeneration, die Zeitzeuge war, ist weg.“ Somit fehlen Erzählungen und Berichte im Familienleben. Da helfe es, auf die ausgestellten Erinnerungen anderer zurück greifen zu können.

Ein besonderer Ritterschlag bei diesem Festakt ist der Besuch des Parlamentarischen Staatssekretärs im Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, Klaus Kaiser. „In unserem Land haben wir keinen der großen Gedenkorte an den Nationalsozialismus. Aber wir haben in NRW 29 kleinere Gedenkstätten. Opferorte. Und Täterorte. Hier ist ein Täterort der fragt, wie konnte das geschehen?“ Herausragend sei an dieser Stelle das Aufeinandertreffen von Ergebnissen lokaler historischer Forschungsarbeit und Bürgerbeteiligung. Ein besonderes Lob gibt es aus Düsseldorf dann noch für den Plan, die Dokumentationsstätte zu erweitern.

Hoffnungsvolles Zeichen

Einen wahren Gänsehautmoment erleben die Gäste wenig später: Ein musikalisches Gastspiel von Benjamin Sarainski, einem jungen Mitglied der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen. Der Klarinettist spielt zwei kurze Stücke, schön und gefühlvoll, berührend und zugleich ein hoffnungsvolles Zeichen der Versöhnung und des friedlichen Miteinanders.