Gelsenkirchen. Studierende des Weiterbildungskollegs stellen Ministerin Löhrmann Ergebnisse der Bildungspartnerschaft zwischen Schule und ISG in der Dokumentationsstätte in Erle vor.
Auf dem wandfüllenden Foto marschiert die NSPAP unter einer Hakenkreuz-Standarte vor dem Hans-Sachs-Haus auf. Im Gefolge Polizeieinheiten. Das Bild dient geradezu als Entree in die Schau-Räume der Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“. Und es ist Teil „des Roten Fadens, der sich durch die Ausstellung zieht“. Zeigt sie doch, wie die Nationalsozialisten „Gemeinschaft herstellten, indem sie Menschen vereinnahmten und verführten“, aber eben auch „wie man Gemeinschaft herstellt, indem man andere Menschen ausgrenzt“, sagt Daniel Schmidt vom Institut für Stadtgeschichte (ISG).
Die Zeugnisse dafür finden sich museumsdidaktisch gut aufbereitet: Die Biografien verfolgter Juden aus Gelsenkirchen, die Geschichten der Täter und Opfer, sie finden hier Raum. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann lässt sich Mittwoch die Dokumentationsstätte zeigen. Doch das ist nur ein Part ihres Besuchs, den sie bewusst vor den Antikriegstag am 1. September gelegt hat. Denn schulische Vorzeigeprojekte lokaler Erinnerungskultur haben sie ebenso nach Erle geführt.
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ISG und das Weiterbildungskolleg Emscher-Lippe unterhalten seit 2015 eine Bildungspartnerschaft, die zu Beiträgen führte, die nun Bestandteil lokaler Historie sind und der Ministerin und Vertretern der Stadt vorgestellt werden. Studierende des Kollegs haben sie mit dem ISG erarbeitet, das dafür seine Archivbestände öffnet, die Studierenden unterstützt und die finanzielle Realisierung beantragt.
Lokale Formen des Zugangs
„Für Erinnerungskultur ist es so wichtig, dass es lokale Formen des Zugangs gibt“, meint Löhrmann und lobt: „Toll, dass sie das machen.“ Das Land unterstützt die Initiativen. Löhrmann ist überzeugt, „dass es gute Schulen ausmacht, wenn man nicht nur im Klassenzimmer lernt“ – und politische Bildung gerade in einer Migrationsgesellschaft neue Ansatzpunkte, neue Lernangebote brauche.
Bei den Kolleg-Studierenden ist es oft die Zeitzeugensuche, auch das Studium von Akten, die Unterricht ausmachen, ebenso die Exkursionen zu Konzentrationslagern, in Ausstellungen. Oder es sind die teils haptischen Erfahrungen von knisterndem Papier, von Briefinhalten, die Schüler bewegt haben, sich für Geschichte und Geschichten zu interessieren. Wie Sonja Kublun, die für ein aktuelles Projekt den Schriftwechsel zwischen der Leitung des Gelsenkirchener Stadttheaters und dem Reichspropagandminsiterium aufbereitet und ihn so faszinierend fand, dass sie sich festgelesen hat. Die lokale Verankerung der Themen, aber auch die Freiwilligkeit und ein gewisses Alter („in der Pubertät hat man andere Dinge im Kopf“) tragen aus Sicht der Schüler dazu bei, dass sie sich „gerne engagieren“.
Für Günter Jahn, den Leiter des Weiterbildungskollegs, einer erklärten „Schule ohne Rassismus“, geht es auch bei Lehrinhalten immer wieder darum, wie man „aus der Vergangenheit lernen kann. Die Themen Rassismus oder Antisemitismus nehmen wir immer wieder auf.“ Unter den 530 Kollegschülern, stellt er fest, gäbe es viele engagierte, kritische und politisch aktive Studierende, aber eben auch „viele junge Erwachsene mit festgefahrenen Meinungen und Anfälligkeit für extreme Positionen. Da sehen wir auch unseren Bildungsauftrag.“
Projektkurse arbeiten mit klarem Ziel
Der aktuelle Projektkurs erarbeitet wieder ein historisches Thema mit lokalgeschichtlichem Bezug, das in einer Ausstellung münden soll. Nach dem Denkmal für die Opfer des Kapp-Putsches und der damit verbundenen Aufwertung mit einer am 9. November 2014 enthüllten neuen Erinnerungstafel, die in Horst die zeitlichen Zusammenhänge erläutert, widmete sich eine weitere Gruppe dem Ehrenmal für Kriegsopfer am Berger See. Andere recherchierten Biografien von Gelsenkirchener Juden, die nach Theresienstadt deportiert worden sind. Ihre Arbeit wurde am Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar, in der neuen Synagoge, präsentiert. Nun geht es um ein weiteres Stück Erinnerungskultur und erneut darum, wie der Nationalsozialismus die Stadtgesellschaft veränderte – festgemacht an der Geschichte des ehemaligen Stadttheaters.
„Wir bemühen uns, dass am Ende jedes Kurses ein Projekt steht. Das gehört für uns zur Bildungspartnerschaft“, sagt Stefan Goch, der Leiter des Instituts für Stadtgeschichte. Im konkreten Fall wird es im Musiktheater im Revier zu einer kleinen Ausstellung führen, die dort am 27. Januar 2017 mit der Premiere des Theaterstücks „Die Passagierin“ gezeigt werden soll.