Gelsenkirchen-Horst. Auf dem Friedhof Horst Nord liegen Bürger bestattet, die ihr Leben dem Ort widmeten. Ihre Geschichten und Gräber gerieten in Vergessenheit.
Dornröschenschlaf. Daran denkt man sogleich, wandelt man auf den Spuren der einstmals bedeutsamen Bürger auf dem Friedhof Horst Nord. In dieser verwunschenen Kulisse ruhen ihre Gebeine, erinnern Grüfte an Menschen, die den Stadtteil prägten – sogar schon, als er noch stolze Landgemeinde ist. Viele Grabsteine aber sind überwuchert. Aus prächtigen Ruhestätten sind zum Teil Brachen geworden.
Ein untragbarer Zustand und ein unwürdiger Umgang mit der lokalen Geschichte sei das, finden Mitglieder der örtlichen CDU. „Wir machen so viel Kulturarbeit. Aber das Einfachste schaffen wir nicht“, sagt Stadtverordneter Werner-Klaus Jansen – ganz ohne Groll oder Vorwürfe, aber mit großem Bedauern.
Unterricht zwischen den Gräbern
Gut kann er sich an Spaziergänge mit seiner Mutter in der Anlage an der Horst-Gladbecker-Straße erinnern. Mehr noch: „Wir sind damals von der Volksschule aus hier hingekommen, hatten manchmal Unterricht hier. Dann saßen wir auf den Bänken unter den Bäumen und haben gesungen oder etwas über die Geschichte erfahren.“ Das ginge doch eigentlich heute noch.
Um das kulturhistorische Wissen zu bewahren, hat er sich mit dem Fraktionssprecher West, Franz-Josef Berghorn, zusammen getan, die Geschichten der Menschen zu erforschen. Eine spannende Reise in die Vergangenheit.
Der Weg führt zur Priestergruft
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Der Weg führt zunächst zur Priestergruft. Hier sind mehrere Geistliche bestattet. Einer von ihnen ist Propst Wilhelm Wenker. Von 1910 bis zu seinem Tode im Jahr 1956 wirkte der im Ortsteil. „Damals gingen Pfarrer nicht in Rente“, sagt der Historienfreund und schmunzelt. „Der Propst startete damals eine Protestaktion gegen die Schließung von Gelsenberg.“ Heute sei das die BP-Raffinerie. „Es gab eine große Kundgebung auf dem Schollbruch.“ Wenker schafft, was zunächst unmöglich scheint: Das Werk bleibt erhalten, die Arbeitsplätze sind gesichert. „Und dort liegt Pfarrer Ferdinand Lenfert. Der war Pfarrer in Horst von 1849 bis zu seinem Tode im Jahr 1882 und gründete die Kolpingsfamilie in Horst – in der damaligen Knabenschule.“
Namen sind kaum noch lesbar
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Gleich nebenan ist ein Gräberfeld, das aussieht wie eine große Wiese. Allein ein Gedenkstein erzählt davon, dass hier die Gebeine zahlreicher Ordensschwestern liegen. Sie alle haben sich einst dem Dienst an den Kranken verschrieben, arbeiteten im ersten Krankenhaus von Horst, dem Agnesstift an der Essener Straße.
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Ein langer Weg führt zum hinteren Teil des Friedhofes. Rechts und links sind zahlreiche überwucherte Grabstätten zu sehen. Nur mit Mühe kann man im Dunkel der Büsche die eingemeißelten Namen lesen. Alles bekannte Horster Familien, weiß Werner-Klaus Jansen. „Da fehlt der Sinn für die Geschichte“, sagt er und erinnert, man beschreite gerade einen der ältesten Friedhöfe der Stadt.
1823 sei er gegründet worden. So manch ein Baum wirkt, als stamme er aus dieser Zeit. Sichtbar alt, unfassbar mächtig, fast majestätisch überragen die Riesen die Szenerie. „Der Baumbestand ist einmalig. Das ist ein Teil der grünen Lunge unserer Stadt.“ Noch ein Grund, diesen Ort zu pflegen, findet der Kommunalpolitiker.
Die beeindruckende Gruft der Tönnies
Linker Hand taucht hinter einem Busch ein Familiengrab von beeindruckender Größe auf. Hier ruht die Familie Tönnies. Elf Menschen sind auf den paar Quadratmetern bestattet. Das Grab schon zeugt von der Bedeutung der Familie. „Die hatten einen Eisenwarenhandel. So etwas, was heute Toom ist“, erklärt Jansen. Er weiß noch mehr zu berichten. „Eine Tönnies, Adolfine, lebte in einem Orden. Da läuft im Moment ein Antrag auf Seligsprechung.“ Die Betreffende aber sei natürlich nicht hier begraben. Im Weitergehen fällt der Blick auf den Kopf des Grabmals. Da fehlt etwas. „Da hing mal eine Dornenkrone. Die ist weg.“
An einer Gabelung ruht Familie Strunden
Die Reise durch die Horster Geschichte geht weiter: An einer Gabelung ruht Familie Strunden. Deren bedeutendster Vertreter lebt und wirkt rund um die Jahrhundertwende. Sanitätsrat Dr. Franz Strunden gründet einst das Agnesstift, ist später Mitinitiator bei der Gründung des St. Josef Hospitals. Zudem ist er ehrenamtlicher Beigeordneter der damaligen Landgemeinde Horst. Einer, der sich ganz der Region verschrieben hat. „Deswegen erinnert auch die Strundenstraße an ihn.“
Ordnung über den Tod hinaus
Ehrgeizige Ziele
Werner-Klaus Jansen und seine Mitstreiter haben sich mehrere Ziele gesetzt: In einer ersten Begehung baten sie Gelsendienste, die Grabstätten von der Überwucherung zu befreien. Das sagte man zu. Demnächst beginnen die Arbeiten.
Zudem will man beantragen, diesen Posten im Haushalt für das kommende Jahr aufzunehmen. So könne der jährliche Rückschnitt auch langfristig finanziert werden.
Um die kulturhistorische Bedeutung des Ortes zu würdigen, will man einen Antrag auf Denkmalschutz stellen.
Am Ende des Weges und damit des Friedhofes angekommen, wartet noch eine recht kuriose Grabstätte. Hier liegen Mitglieder der Familie Holthöver-Grolmann – über Eck. Dazu gebe es eine Geschichte, von der keiner wisse, ob sie stimme: „Einige Mitglieder der Familie waren evangelisch. Wir sind aber im katholischen Teil des Friedhofes. Und so wählte man dieses Eckgrab und legte die einen auf die eine Seite und die anderen auf die andere.“ Ordnung muss eben sein. Auch über den Tod hinaus.
Apropos evangelisch: Mit der zunehmenden Zahl von zugereisten Arbeitern stieg der Bedarf nach einem zweiten Teil des Friedhofes. Zu dem führt nun der Rundgang. Irgendwo dort hinten, tief im Dickicht verborgen, befänden sich wohl noch Grabstätten, meint Werner-Klaus Jansen. Sichtbar jedoch ist allein ein großes, steinernes Kreuz, dessen Sockel von Efeu berankt ist. Ein weiterer stummer Zeitzeuge in diesem geheimen Garten, der im Volksmund schon mal „Knochenpark“ genannt wird und doch viel mehr ist, als nur ein Friedhof. Im Wortsinn ist er ein Denkmal der Lokalgeschichte.