Essen-Rüttenscheid. Zwischen alter PH und Hochhaussiedlung an der Sylviastraße liegen neun große Kleingärten. Mit den Neubauten rundherum dürfte die Ruhe bald gestört werden
Die ersten 30 Salatköpfe des Jahres sind unter der Folie bereits herangereift. Im Stall nebenan wurden vor einigen Tagen acht junge Holländerkaninchen geboren, die sich nun dicht an ihre Mutter kuscheln. Ein Buntspecht malträtiert lautstark eine der riesigen Pappeln, deren nackte Äste den Blick auf die Hochhaussiedlung an der Sylviastraße freigeben. Es dauert noch einige Wochen, dann schirmt der dichte Blätterwald der Bäume die wohl verborgenste grüne Idylle im Stadtteil wieder vollends ab: Die neun großen Kleingärten am lange still gelegten Rommenhöller-Gleis liegen direkt zwischen der alten Pädagogischen Hochschule, der A52 und dem Hochhaus-Block.
„Mein Großvater gehörte Ende der 1950er-Jahre zu den Gründungsmitgliedern der Gärten hier, obwohl er kein Eisenbahner war. Das war eigentlich Voraussetzung. Weil sein voriger Garten an der Rosastraße aber für das Helmholtz-Gymnasium weichen musste und er außerdem noch Bienen gehalten hat, durfte er hierher umziehen“, erklärt Christian Smarzlik.
Generationswechsel in der Gartenanlage
Der 28-Jährige übernahm den 220 Quadratmeter großen Garten 2011 von seinem Vater, führt ihn schon in dritter Generation. Vor allem die 40 Meter lange Brombeer-Hecke, die sein Großvater anlegte, liegt ihm am Herzen; auch Johannisbeeren, Kirschen, Pflaumen, Heidel- und Preiselbeeren hat der Projektmanager angebaut. Wie die anderen Kleingärtner gehört er zum bundesweiten Verband Bahnlandwirtschaft. In den nächsten Wochen absolviert Smarzlik zudem noch einige Seminare, will wie sein Großvater in die Bienenzucht einsteigen. „Das ist ein perfekter Rückzugsort hier“, sagt der junge Mann.
Werner Riekewald, Obmann der Gartenanlage, deren Verpächter bis heute die Deutsche Bahn ist, freut sich über den einsetzenden Generationswechsel, „Leerstände haben wir hier nicht, die neun großen Parzellen sind begehrt“, weiß der 77-Jährige, der täglich seine Scholle besucht: um seine Kaninchen zu versorgen, das Vogelfutter für den Zaunkönig aufzufüllen – „der besucht mich regelmäßig“ – oder um einfach die Ruhe in der Natur zu genießen.
Denn von den direkt angrenzenden Hauptverkehrsschneisen Müller-Breslau-Straße und A52 ist nicht viel zu hören. „Da war früher viel mehr Lärm, als hier noch direkt vor unserer Nase die Transportwaggons vorbei gerattert sind“, erinnert sich Riekewald.
"Etwas Einzigartiges in dieser urbanen Umgebung"
Ursprünglich führte das Gleis bis zur Zeche Ludwig nach Bergerhausen, wurde schließlich nach und nach still gelegt. Bis in die späten 1980er-Jahre nutzte die Kohlensäure-Firma Rommenhöller noch den Transportweg zum Rüttenscheider Güterbahnhof. Das Unternehmen hatte seine Abfüll-Station an der Stelle, wo heute der Bürobedarf Staples seinen Sitz hat. Die Gleise auf dem gut 600 Meter langen Stück zwischen Veronikastraße und A52-Brücke sind noch gut erhalten. Einige – allen voran Grünen-Ratsherr Rolf Fliß – würden dort gerne einen kombinierten Rad- und Fußgängerweg sehen, andere lehnen diese Pläne schon aus Kostengründen vehement ab.
Die Kleingärtner sind gelassen, so lange ihre Gärten von den Plänen unberührt bleiben. „Wir hatten ja schon Befürchtungen“, sagt Christian Smarzlik, „als bekannt wurde, dass die ehemalige PH und das Gelände der Fabbrica Italiana neu bebaut werden sollen. An uns ist zum Glück noch niemand heran getreten. Die Gärten hier sind etwas Einzigartiges in dieser urbanen Umgebung und sollten unabhängig von aller Planung um uns herum erhalten werden.“
Nachbarn halten nichts von Radweg-Plänen
„Wir lehnen einen Rad- und Fußweg vor unserer Haustür ab“, sagt Oliver Wollenberg. Er lebt in der Neubausiedlung am Helgaweg, die 2009 fertiggestellt wurde. Die still gelegten Gleise verlaufen direkt hinter den Häusern. Nachdem die Deutsche Bahn eine zum Rommenhöller Gleis zählende Fläche Anfang des Jahres von Betriebszwecken freigestellt hat, kann die Stadt das 719 Quadratmeter große Gelände für städtebauliche Planung verwenden. Darüber hinaus hat Grün und Gruga einen noch unbeantworteten Förderantrag für den Umbau der Trasse gestellt.
Wollenberg hat kein Verständnis für die Pläne: „Es gibt eine gute Verbindung, die genau parallel auf der Müller-Breslau-Straße verläuft. Ich habe kein Verständnis, warum hier für geschätzt rund 1,6 Millionen Euro ein Radweg gebaut werden soll, den niemand braucht.“ Er fürchtet auch um die Natur, die sich ihr Refugium zurückerobert habe: „Viele seltene Vogelarten, Füchse und Fledermäuse können hier beobachtet werden. Wegen der Fledermäuse hat sich nun auch der Naturschutzbund gemeldet, um sich die Situation anzuschauen.“
Noch ist ein Rad- und Wanderweg ohnehin in weiter Ferne: So müsste noch mit Grundstückseigentümern verhandelt werden und auch ein politischer Beschluss ist noch nicht gefasst. „Wenn es soweit ist“, kündigt Wollenberg an, „wird sich unsere Nachbarschaft dagegen wehren“.