Essen-Bredeney. . Die Blumenhändlerin Betty Horn war schon früh eine emanzipierte Frau: Vom Alter lässt sie sich also erst Recht nicht einschüchtern.

Immer wieder greift Betty Horn mit ihren Händen, die sich wie dünnes Seidenpapier anfühlen, nach dem Arm ihrer Gesprächspartnerin – so, als wolle sie das eben Gesagte mit aller Vehemenz unterstreichen. Zu Erzählen und auch zu Sagen hat die rüstige Dame aus Bredeney noch eine Menge: Am Sonntag feiert sie ihren 100. Geburtstag.

Gemeinsam mit ihrer Tochter Irmi Langer und ihrem Schwiegersohn geht es dann zurück zu ihren Wurzeln: nach Koblenz, wo Betty Horn am 22. November 1915 als eines von neun Kindern zur Welt kommt. Geschickt und fingerfertig sei sie gewesen, wollte eigentlich Schneiderin werden. „Diesen Berufswunsch hat meine Lehrerin aber durchgestrichen und gesagt, dass ich Blumenbinderin werden soll“, erinnert sich Betty Horn. Für Frauen ist dieser Beruf damals noch untypisch – aber eine typische Frau soll aus Betty Horn ohnehin nicht werden.

Alleinerziehend mit zwei Töchtern und selbstständig

Ihre Koblenzer Lehrmeisterin hat einen Bruder, der die bis heute bestehende Gärtnerei Tebbe in Stadtwald betreibt. Betty Horn bekommt dort eine Stelle, zieht 1939 nach Essen. „Vom Rheinland in den Kohlenpott, das haben viele erst nicht verstanden“, sagt die Seniorin, die sich schnell einlebt und in Stadtwald ihren Mann kennenlernt. „Er war viel zu hübsch für einen Gärtner, wie ich hinterher leider feststellen musste“, sagt Betty Horn und erklärt damit indirekt, warum die Ehe zehn Jahre später zerbricht. Unterkriegen lassen hat sie sich nie: Auch nicht, als sie sich als alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern am
1. April 1962 mit einem eigenen Blumengeschäft an der Bredeneyer Straße selbstständig macht.

„Ausgerechnet in Bredeney. Als Zugezogene! Und ohne Mann! Stellen Sie sich mal vor, wie groß das Gerde war“, sagt Betty Horn, und in ihre wachen Augen tritt ein Ausdruck der Rebellion. Sie werde eingehen wie eine Primel, raunen ihr damals einige zu. Betty Horn gibt sich unbeeindruckt. Selbst, als bei ihrer ältesten Tochter Bärbel wenig später multiple Sklerose diagnostiziert wird, schlägt sie sich tapfer. Viele Firmenvorstände, darunter von RWE und Deutscher Bank, hätten ihren kleinen Blumenladen für sich entdeckt.

Das spricht sich herum, Betty Horn gewinnt immer mehr Kunden hinzu – und kann dank ihnen heute unzählige Geschichten wie diese zum Besten geben: „Ein Herr hat uns immer mit seiner Gattin besucht. Sie bekam einen Strauß für zehn Mark, auf den Tresen legte er aber einen Zwanziger. Wir wussten dann schon Bescheid, haben einen weiteren Strauß gebunden und ihn an seine Geliebte geschickt“, sagt Betty Horn und lächelt wie ein Teenager.

50 Stufen sind kein Problem

Dass sie das noch immer kann, ist ihrer ungebrochenen Lebensfreude geschuldet. Trotz des schweren Schicksalsschlags, den sie 1975 erleidet, als ihre älteste Tochter mit gerade einmal 33 Jahren verstirbt. Auch das, so ist die jüngere Tochter Irmi Langer heute überzeugt, sei ein Grund, warum sich ihre Mutter von Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe bringen lasse. Und vielmehr dankbar für jeden weiteren gesunden Tag ist, an dem sie die 50 Stufen aus dem dritten Stock ihrer Wohnung in Bredeney herunterläuft, um bei Bäcker Peter frühstücken zu gehen: „Ich muss ja schließlich wissen, was los ist in Bredeney.“