Essen. Elisabeth Gerkens hat gerade Geburtstag gefeiert und ist eine der ältesten Essenerinnen. Ihre Töchter erzählen von einem Leben im anderen Jahrhundert.

Erzählen die Töchter von Elisabeth Gerkens aus dem Leben ihrer Mutter, dann blicken sie auf eine kleine, energische wie liebevolle Person, auf ihr Backsteinhaus mit riesigen Obstbäumen in Überruhr, auf zwei Weltkriege und auf die Stadt zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Elisabeth Gerkens wurde 1910 geboren und hat nun ihren 105. Geburtstag gefeiert. Sie ist nicht die Älteste in der Stadt, aber eine der ältesten Essenerinnen.

Als jüngste von sechs Kindern musste Elisabeth Gerkens sich früh durchsetzen, denn sie wuchs mit fünf Brüdern auf, erzählt ihre Tochter Ursula Sellmann (72). Ihre Mutter ist in Steele zur Welt gekommen und in Überruhr aufgewachsen, als das noch ein Dorf war. Dort hat sie in der Ruhr schwimmen gelernt, da ihr Vater als Schwimmmeister im Bad nahe des Hafens beschäftigt war. Und wenn sie als Jugendliche in die Stadt wollte, dann meinte sie Steele und lief los: in ihren Holzpantinen.

"Morgens die Erste und abends die Letzte"

Zur Arbeit führte der Weg sie nach Kupferdreh, wo sie als Weberin bei Colsmann beschäftigt war und am liebsten Tücher mit Jacquard-Muster webte, sagt Anneliese Kuhlmann (78) über den Beruf ihrer Mutter. Den gab die erst mit dem dritten Kind auf. „Sie war für die Familie da und hat alle umsorgt.“ Der Vater war Bergmann auf der Zeche Heinrich in Überruhr. Mit dem beruflichen Aufstieg kam 1948 der Wechsel zur Zeche Fritz-Heinrich und der Umzug nach Altenessen.

Weihnachten 1942: Elisabeth Gerkens mit zwei ihrer Kinder: Ursula und Hans-Peter.
Weihnachten 1942: Elisabeth Gerkens mit zwei ihrer Kinder: Ursula und Hans-Peter. © FUNKE Foto Services

Gern erinnern sich die Töchter an Ausflüge mit ihrem ersten Auto in dieser Zeit, als die Eltern vorn Platt miteinander sprachen und sie das auf der Rückbank nachplapperten. Fröhlich war es meistens auch zu Hause, selbst den Haushalt erledigte Elisabeth Gerkens singend, hat gespült dabei, unzählige saure Gurken eingelegt und Marzipan nach alter Familientradition hergestellt. Aktiv war sie immer: Sie sang im Kirchenchor und kegelte im Damenclub Drachenhöhle. „Morgens war sie die Erste und abends die Letzte“, sagen die Töchter. Später habe sie viel mit ihren Enkeln gebacken. Heute hat Elisabeth Gerkens neun Enkelkinder und zehn Urenkel.

Freude im Gesichtsausdruck

Aus ihrer Generation aber ist sie die Einzige in der Familie. Ihre Brüder leben nicht mehr, ihr Mann, mit dem sie eine glückliche Ehe führte, starb nur zwei Jahre nach der Goldenen Hochzeit, da war Elisabeth Gerkens 74 Jahre alt. Sie hat sich nach dieser schweren Zeit langsam erholt, hat ihre Lebenslust wiedergefunden, sagt Anneliese Kuhlmann. Seitdem ihre Mutter nun in einem Seniorenstift in Werden wohnt, besuchen die Töchter sie täglich. Seit 15 Jahren wechseln sie sich nun ab und reichen ihr jeden Abend das Essen ans Bett.

Wenn ihre Mutter sich heute freut, dann sehen sie das an ihrem Gesichtsausdruck. Und manchmal, wenn sie sich verabschieden bis zum nächsten Tag, dann antwortet sie ihnen mit einem leisen: „Auf Wiedersehen.“