Essen-Haarzopf. . An der Hatzper Straße in Essen leben aktuell 66 Flüchtlinge. Wie viele dort hofft auch eine syrische Familie auf einen Neuanfang in Deutschland.

Riesige Bleche voll mit arabischen Köstlichkeiten flimmern über das Handy-Display: Taboulé, Bulgur, Fatousch und Baba Ghanoush heißen die arabischen Gerichte, die Samer gemeinsam mit seiner Frau Nour in der vergangenen Woche für mehr als 50 Gemeindemitglieder in Haarzopf zubereitet hat. Die 44-Jährige zeigt den Film auf ihrem Smartphone, ein stolzes und in letzter Zeit selten gewordenes Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Dieses Koch-Ereignis hat mich für einige Stunden wieder in das Damaskus zurückgebracht, das ich kannte“, sagt ihr Ehemann, der in seiner Heimat ein erfolgreiches Restaurant führte.

Bis dieser fürchterliche Krieg ausbrach, bei dem viele Familienmitglieder gefoltert und getötet wurden. Der sie ihres gesamten Hab und Guts beraubte, ihnen aber nicht den Freiheits-Willen nahm. Weil sie gegen das Assad-Regime demonstrierten, werden Nour und Samer in ihrer Heimat gesucht. „In Deutschland“, sagt Samer, „haben wir Freiheit gefunden.“

Kaum Privatsphäre

Eine Freiheit mit Einschränkungen. Seit vier Monaten leben die beiden mit ihrer Familie in der ehemaligen Hatzperschule, einer Übergangsunterkunft. Dünne Wände mit einem halben Meter Luft zur Decke trennen die sporadisch eingerichteten, ehemaligen Klassenzimmer, die sich zwei Familien teilen. Jedes Husten, jedes Räuspern ist auf der jeweils anderen Seite zu hören. Duschvorhänge bilden eine provisorische „Eingangstür“, damit die dürftige Privatsphäre zumindest vor den Blicken der anderen geschützt ist. „Wir wurden sehr freundlich in Essen aufgenommen und sind dankbar für alles“, sagt Samer. Dennoch sehnen er und seine Familie sich nach eigenen vier Wänden. Speziell seine 86-jährige Mutter, für die der Gang zu den Waschcontainern auf dem Schulhof zunehmend beschwerlich werde. Samer würde gern wieder mehr kochen. Eine dieser Freiheiten, die ihm noch verwehrt bleibt. Er beschwert sich nicht über das Essen in der Behelfseinrichtung. Dass er anderes gewohnt ist, verrät sein schwärmerischer Blick, wenn er von den Köstlichkeiten seiner Heimat spricht.

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Alle Essener Unterkünfte werden einmal wöchentlich von dem Unternehmen Apetito beliefert, das sich auf tiefgefrorene Fertig-Menüs spezialisiert hat. Hühnerfrikassee, Pizzen und Fisch lagern unter anderem in den großen Gefrierkombinationen der provisorischen Kantine auf dem Schulgelände ein. In Konvektomaten werden die Gerichte erhitzt, von 12 bis 13 Uhr ist Essenszeit. „Warmes Essen sollen die Bewohner in der Kantine einnehmen, auch aus Hygienegründen in den Zimmern“, erklärt Ridda Martini, Mitarbeiter des Betreibers European Homecare (EHC) und Leiter der Behelfseinrichtungen in Essen.

Stadt rechnet mit 100 Flüchtlingen in nächsten Tagen

Er ist selbst Deutsch-Syrer, seine Arbeit weit mehr als nur ein Job. Ihn lässt das Schicksal seiner Heimat ebenso wenig kalt wie das der anderen Flüchtlinge, die an der Hatzper Straße zu großen Teilen aus Albanien, dem Kosovo, Serbien und Mazedonien stammen. Dennoch gebe es angesichts der steigenden Zahlen keine Alternative zu Verlängerung und Ausweitung der Behelfsunterkünfte. Gestern begann EHC in Haarzopf damit, weitere Wände in den Klassenzimmern einzuziehen. „Wir müssen unsere Einrichtungen so weit es geht umstrukturieren, um Platz für weitere Flüchtlinge zu schaffen“, sagt Ridda Martini.

Aktuell leben 66 Menschen in den Klassen und Containern in der ehemaligen Hatzperschule. In Kürze soll eine weitere, bislang ungenutzte Containerreihe auf dem Schulgelände wieder geöffnet werden. 96 Plätze werden so zusätzlich geschaffen. „Wir rechnen in den nächsten Tagen mit rund 100 Flüchtlingen, speziell aus dem Kosovo“, sagt Bodo Kolling vom Amt für Soziales und Wohnen. Viele von ihnen werden im Gegensatz zu der syrischen Familie in Deutschland kaum eine Perspektive oder die Chance auf eine eigene Wohnung haben und unmittelbar abgeschoben. Die bittere Armut in Ländern wie dem Kosovo ist kein Asylgrund.