Essen. . Seit Mai gibt es ein Gesetz zur vertraulichen Geburt. Kinder können später etwas über ihre Herkunft erfahren. Zwei Fälle gab es bisher in Essen.

Jesu Geburt im Stall von Bethlehem haben wir romantisch verklärt. Wenn eine Frau ihr Kind im Wald oder auf der Bahnhofstoilette zur Welt bringt, weil niemand von ihrer Schwangerschaft wissen soll, kann das tödlich sein – für die Mutter, vor allem aber für das Neugeborene. Für Frauen, die ihr Kind nicht behalten wollen, für die aber weder Abtreibung noch Freigabe zur Adoption in Frage kommen oder die die Schwangerschaft schlichtweg verdrängen, gab es lange nur zwei Alternativen: eine anonyme, nicht legale Geburt im Krankenhaus oder die Babyklappe.

Im schlimmsten Fall wurden Babys ausgesetzt. Damit das nicht passiert, gibt es seit Mai mit dem Gesetz zur vertraulichen Geburt eine legale, risikoärmere Alternative. Frauen können kostenfrei und medizinisch begleitet ihr Kind in Würde gebären. Bereits zwei Frauen hat die Ärztin und Beraterin Nadia Heming von der Awo-Beratungsstelle im Uniklinikum bei der vertraulichen Geburt begleitet.

Väter sind meist unwissend

Eine Frau kam aus einer kleineren Stadt in der Umgebung und entschied sich bewusst für die Entbindung in der anonymeren Großstadt Essen. „Sie war im sechsten Monat, hatte bereits drei Kinder und kam gemeinsam mit ihrem Mann“, erinnert sich Heming. Letzteres sei ungewöhnlich. Das Angebot richte sich an Frauen. Meist wüssten die Väter nichts von der Schwangerschaft. Das Kind regulär zur Adoption freizugeben, sei für diese Eltern nicht infrage gekommen. Sie hätten den Kontakt mit dem Jugendamt gescheut.

„Schon die Gespräche liefen so, dass ich Zweifel hatte, ob die vertrauliche Geburt in diesem Fall die richtige Lösung sei“, so Heming. Ihr Bauchgefühl trog sie nicht: Die Frau habe an einem Wochenende entbunden, schon Anfang der Woche wollte sie ihr Kind doch behalten. „Mit Unterstützung klappt das auch“, sagt Nadia Heming.

Im zweiten Fall habe sich die Frau, die auch schon Kinder hatte, erst unmittelbar vor der Geburt gemeldet. Sie war während der gesamten Schwangerschaft nicht zum Arzt gegangen, saß bereits mit Wehen in der Beratung. „Ich habe ihr die vertrauliche Geburt erklärt. Sie war trotz der Situation ganz ruhig und gelassen. Zwei Stunden später war das Kind da – vier Wochen zu früh. „Ursprünglich wollte sie ihr Kind zu Hause zur Welt bringen, es dann in eine Babyklappe legen. Aber sie hatte Bedenken, ob sie das allein schaffen würde“, sagt Nadia Heming, die bis heute Kontakt zu der Frau hat und auf deren Wunsch sogar ein Foto von dem Baby machte. Heming: „Für sie war es die schwerste Entscheidung ihres Lebens.“

Beratungsstellen begleiten Geburt

Trotzdem kann die vertrauliche Geburt eine Lösung sein: Die Mutter sucht unter einem Decknamen das Krankenhaus auf, die echten Daten kennen nur die Mitarbeiter der Beratungsstellen. Die Mutter tritt mit der Geburt alle Rechte am Kind ab, es kann adoptiert werden. Falls es mit 16 Jahren etwas über seine Herkunft wissen will, kann es beantragen, die Unterlagen, die bei einer Behörde in Köln aufbewahrt werden, einzusehen. Möchte die Mutter weiterhin anonym bleiben, entscheidet ein Gericht, welches Interesse höher zu bewerten ist.

In Essen können vier Beratungsstellen eine vertrauliche Geburt begleiten: die Arbeiterwohlfahrt im Lore-Agnes-Haus mit Zweigstelle im Uniklinikum, die christlich orientierte Beratungsstelle Donum Vitae, der Sozialdienst katholischer Frauen und die evangelische Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familie und Sexualität.

„Das neue Gesetz ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Kinder haben jetzt die Chance, etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Können sie das nicht, belastet sie die Ungewissheit oft ein ganzes Leben“, begrüßt Andrea Vossbrink, Beraterin bei Donum Vitae, die neue rechtliche Grundlage. Man gehe von 100 Fällen pro Jahr in Deutschland aus. „Wenn nur ein Kind gerettet wird, das sonst vielleicht gestorben wäre, macht das Gesetz schon Sinn“, findet Nadia Heming.

Schwangerschaft wird oft verdrängt

In der Praxis gibt es in Sachen vertrauliche Geburt noch etliche offene Fragen: „Die Frauen, die diesen Weg gehen wollen, müssen sich uns gegenüber klar identifizieren können“, betont Andrea Vossbrink von Donum Vitae. Wenn die Frau keinen gültigen Pass habe, könne man nicht helfen. Bei fremdsprachlichen Dokumenten brauche man einen vertrauenswürdigen Übersetzer. „Es reicht nicht, wenn der Ehemann übersetzt“, so Vossbrink. Die Sozialarbeiterin wünscht sich, dass die Betroffenen möglichst früh in die Beratung kommen. In der Praxis melden sich die Frauen, die ihre Schwangerschaft oft verdrängt haben, erst kurz vor der Geburt.

Gerade zu den Feiertagen tauchen noch andere Probleme auf. Wenn eine Frau zum Beispiel Heiligabend unter einem Decknamen entbinde, dauere es fünf Tage, bis in den Beratungsstellen wieder jemand Dienst habe, der die Daten aufnehmen könne. Bis dahin könne die Frau längst verschwunden sein. „Es gibt keinen Bereitschaftsdienst, weil dafür keine Mittel zur Verfügung stehen“, so Nadia Heming. Auch sei die Möglichkeit der vertraulichen Geburt noch wenig bekannt. Ein runder Tisch mit Ärzten, Hebammen, Sozialarbeitern, Vertretern der Ämter und anderen Beteiligten, der bereits zweimal stattfand, soll das ändern.

Hier können sich Frauen beraten lassen: Awo, Lore-Agnes-Haus, Lützowstraße 32, 3 10 53; Awo-Beratungsstelle im Klinikum, Hufelandstraße 55, 72 21 608; Evangelische Beratungsstelle für Schwangerschaft und Sexualität, Henriettenstraße 6, 23 45 67; Donum Vitae, Alfredstraße 51, 72 66 618.

Beratungsstelle des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Essen-Mitte, Dammann-straße 32-38, Telefon: 0201-27 50 81 28.