Essen-Rüttenscheid. . Seit 16 Jahren gehört Rolf Wiegmann zum Inventar der Ampütte, die für ihn Zuhause und Familie ist. Derbe Sprüche und der Bart sind seine Markenzeichen.
„Na, ihr hässlichen Findelkinder, was kann ich euch bringen?!“, fragt Rolf Wiegmann mit süffisantem Unterton. Als er in die entsetzten Gesichter der drei jungen und durchaus hübschen Männer blickt, werden die Züge des Kellners weich. „Ich mein’ ja nur. Es ist nach Mitternacht und ihr habt immer noch kein Mädel abgeschleppt. War ja nur Spaß.“ Die drei Jungs Anfang 20 müssen lachen und versprechen, dass sie an dieser Situation noch etwas ändern wollen. Vorher lassen sie sich von Rolf Wiegmann noch drei gepflegte Pils servieren, die der 53-Jährige in rasanter Geschwindigkeit auf dem Tablett herbei trägt.
Seit 16 Jahren kellnert Wiegmann in der Ampütte, „mein Zuhause und meine Familie“, wie der Altendorfer mit dem auffälligen Bart sagt. Freitags gehört er ebenso wie Kollege Cable zum Inventar, beide sind Stammkellner in einer der ältesten Kneipen der Stadt. In dieser Freitagnacht drängen sich junge Menschen in Turnschuhen ebenso an den Tischen wie Anzugträger mit polierten Schuhen. Stammgast Manni, ein älterer Herr mit schütterem Haar, Pelz besetzter Lederjacke und aufmerksamem Blick, verfolgt von seinem festen Tresenplatz aus stumm das Treiben. „Der Manni gehört einfach dazu, ebenso wie die Musiker, die da kommen“, sagt Wiegmann und deutet auf Geigenspieler und Gitarristen, die zur Tür herein spazieren. Wenig später werden Tische und Stühle beiseite geräumt, beginnen die ersten Gäste, zur Melodie von „Sag mir quando, sag mir wann“ zu tanzen.
Ort für Extravagante und Kreative
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Auch Rolf Wiegmann ist musikalisch, spielt mit seiner Formation „Weber & Friends“ u.a. bei der Mau-Mau-Nacht, brachte eine eigene CD heraus. Dieses Talent bekommen auch seine Gäste zu spüren: So serviert er das Kultgetränk mit Musik, „einen Samtkragen für den Kopp und für den Magen“ oder singt „Rote Lippen muss man küssen“, als er bei einer Zigarettenpause einer jungen Frau mit entsprechend gefärbtem Kussmund begegnet. Die Dame unterhält sich mit ihrem Künstlerfreund gerade über Bulgakows „Meister und Margarita“. „Noch immer ziehen wir Künstler, Intellektuelle, Kreative und Extravagante an, das war zum Glück schon immer so“, sagt Wiegmann, „dabei haben wir mittlerweile den Generationenwechsel geschafft.“ Vor kurzem war Hannelore Kraft da, auch Musiker Stefan Stoppok und Schauspieler Martin Lindow gehören regelmäßig zu den Gästen, die vor Rolf Wiegmann alle gleich sind.
Der gelernte Gas- und Wasserinstallateur kam erst 1994 zur Gastronomie, „da habe ich aus lauter Wut darüber, dass meine Frau die Scheidung eingereicht hat, das Duett in Altendorf eröffnet“, erinnert sich Wiegmann. Später betreibt er noch die Bauernstube in Frohnhausen, kehrt schließlich in die Ampütte zurück. Zwei Tage die Woche kellnert er dort, verdient sich den Rest seines Lebensunterhalts als „Mann für alle Fälle“, etwa bei Haushaltsauflösungen oder mit Reparaturarbeiten. Der Nachtdienst in der Ampütte, der von 23 bis 4 Uhr morgens geht, macht ihm nichts aus, im Gegenteil: „Das ist hier mein Ruhepol, meine Berufung – die Gespräche mit den Gästen und mitunter ungewöhnliche Begegnungen.“ Wie mit einem Mann, der nicht mehr ganz nüchtern eine Currywurst bestellte und sogar den Teller noch ableckte, „ein großartiger Anblick“, erinnert sich Wiegmann und ergänzt: „Und genau deswegen, weil sich hier alle wie zu Hause fühlen, muss die Ampütte noch mindestens 100 Jahre so bleiben wie sie ist.“
Alle Folgen der Serie "Eine Nacht in Rüttenscheid" finden Sie hier.