Essen-Rüttenscheid. . Die Zapfsäulen spielen nachts an der Shell-Tankstelle am Stadtgarten eher eine Nebenrolle. Statt ihre Autos tanken die meisten Kunden ihre Lebensgeister auf. Dann ist Schokolade mehr gefragt als Sprit. Vom Transvestiten bis zum Taxifahrer – die Kundschaft ist so breit gemixt wie wohl nirgend sonst.

Fast im Minutentakt bewegt sich die Schiebetür der Shell-Tankstelle am Stadtgarten. Obwohl weit nach 23 Uhr an einem klassischen Mittwoch, müssen noch viele Gelüste gestillt werden. Nikotin, Koffein, Schokolade, Alkohol – vor dem Tresen von Kevin Meßingfeld und Anna Gwiazda sind alle Menschen gleich.

Vom Mitarbeiter der Stadtwerke im Blaumann, der sich mit Schokoladenriegeln und Cola für seine Nachtschicht eindeckt über den Transvestiten in blauem Mini-Kleid und roten Pumps, der hektisch eine Tafel Rittersport bezahlt, bis hin zum Anzugträger, für den Kevin Meßingfeld die bevorzugte Zigarettenschachtel schon in der Hand hält, als der Mann die Tankstelle betritt: „Einen breiteren Kundenmix findet man wohl nirgends“, sagt Anna Gwiazda, die 2008 die Stationsleitung übernahm und Personal-Verantwortung für zehn Mitarbeiter hat.

„Wolltest du nichts Vernünftiges machen?“, ist eine Frage, mit der sich die 34-Jährige häufiger konfrontiert sieht. Sie schloss ihr Studium in Sozialpsychologie und -pädagogik ab, jobbte damals als Aushilfe an einer Shell-Tankstelle in Steele. „Die Arbeit macht mir einfach Spaß. Deswegen bin ich auch dabei geblieben“, sagt Gwiazda, die gemeinsam mit ihrem Team mittlerweile Bücher voller Geschichten schreiben könnte. „Wir sind uns nur noch nicht einig, ob daraus Drama, Komödie oder Tragödie wird“, sagt die Steelenserin und lacht.

Wegweiser, Psychologen, Lebensmittelhändler, Bäcker in einem

Etwa über jene Stammkunden, die an Heiligabend immer Geschenke und selbst-gebackene Plätzchen vorbeibringen. Oder von dem Mann, der drei Packungen Kondome kaufte und sich als Geistlicher entpuppte. Von sommerlichen Grillpartys im Stadtgarten, und Menschen, die anschließend nach Quark für ihren Sonnenbrand fragen, den es an der Tankstelle allerdings nicht gibt.

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Die ist in drei Schichten rund um die Uhr besetzt. Kevin Meßingfeld übernimmt oft die Nachtschicht, die um 22 Uhr beginnt und bis in den frühen Morgen dauert. Auch in dieser Nacht ist der 27-Jährige ständig in Bewegung – flitzt zwischen Verkaufstresen und Kühlschränken hin und her. Bedient Kunden, füllt Regale nach, überprüft die Kühltemperatur. „Zum müde werden habe ich keine Zeit“, sagt der Dortmunder, dem die Nachtarbeit nichts ausmacht. Angst hat er nicht, „in meiner Schicht ist noch nie was passiert, zum Glück“, sagt er. Die Tankstelle verfügt über ein geschlossenes Kassensystem, die Mitarbeiter haben keinen Zugriff auf das Bargeld. Auch deswegen hat die Tankstelle keinen Nachtschalter und bleibt geöffnet.

Ein junger Mann mit hochgegelten Haaren betritt gegen Mitternacht den Verkaufsraum, gibt sich als „Tourist aus Bayern“ aus und fragt nach dem Weg zum Düsseldorfer Rheinufer. Anna Gwiazda erklärt bereitwillig den Weg zur A52-Auffahrt. „Trotz Navis werden wir täglich nach dem Weg gefragt, aktuell wollen viele zur Motorshow in der Messe“, sagt Gwiazda. Wegweiser, Psychologen, Lebensmittelhändler, Bäcker – aufgetankt werden nachts meist die Lebensgeister, nicht das Auto.

Alle Folgen der Serie "Eine Nacht in Rüttenscheid" finden Sie hier.