Essen-Südviertel. . Der Chor „Singen für dein Leben“ gibt Menschen mit schweren Diagnosen neue Lebensfreude. Dabei verbindet die Sänger nicht nur ihr Schicksal.
„Viele Teilnehmer kommen hierher und sagen: ‚Heute geht es mir nicht so gut‘. Doch nach der Chorprobe umarmen sie mich spontan und strahlen: ‚Jetzt bin ich so viel glücklicher’“, erzählt Nora Meyer-Galow, die das musikalische Projekt „Singen für dein Leben“ bereits 2014 im Chorforum ins Leben rief.
Der Chor im Südviertel ist einer der wenigen, der sich an Menschen mit schweren Krankheiten und deren Angehörige richtet. Von Krebsdiagnosen über chronische Krankheiten wie Parkinson bis hin zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Burnout – alle Teilnehmer haben eines gemeinsam: ein schreckliches Schicksal. Doch das ist nicht das Einzige. Was sie auch verbindet, ist ihre Leidenschaft zur Musik.
Singen steht im Vordergrund
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Nach einer kleinen Meditation und einer kurzen Stimmbildung, setzt sich die Chorleiterin Véronique Coutu an den großen, schwarzen Flügel und die ersten Strophen von Leonard Cohens „Hallelujah“ erfüllen den Raum mit einer lebendigen Euphorie, die ansteckend wirkt. Für Außenstehende klingt das vielleicht nach einer normalen Chorprobe, aber dahinter steckt sehr viel mehr, erzählen die Teilnehmer.
Für Angela Malmedy ist jeden Freitag ihr kleiner, persönlicher Festakt. Ihr Leben zu zelebrieren, hat die Essenerin nach ihrer Krebserkrankung erst durch das gemeinsame Singen wieder gelernt: „Der Chor war mein erstes Projekt nach dem Kampf gegen den Krebs. Er lässt mich meine Sorgen vergessen und erfüllt mich mit Glückseligkeit, sodass ich selbst Tage danach noch von dieser guten Laune zehre.“
Das berichtet auch die Teilnehmerin Eva Özdemir, deren von Depressionen geplagter Alltag durch den Chor wieder farbenfroher geworden ist: „Das Singen wirkt Wunder und sich nicht schämen zu müssen, weil man unter Gleichgesinnten ist, ist befreiend.“
Und Sabine Schäumer-Raupach fügt hinzu: „Wir wissen alle, dass wir betroffen sind, aber wir thematisieren unsere Krankheit hier nicht.“ Sie erklärt, dass sie in ihrem Alltag schon genug über ihre Krebsdiagnose nachdenke und beim Singen abschalten kann: „Die Proben sind nicht mit negativen Gedanken verbunden, sondern mit Lachen.“ So empfindet das auch Dirk Becher, der seine Bekannte mit fünf anderen gemeinsamen Freundinnen zu jeder Chorprobe begleitet. „Ich habe nie das Gefühl, dass alle schwerkrank sind. Keiner spricht darüber. Und obwohl ich selbst nicht betroffen bin, entspanne ich mich bei den Proben.“
Musikalische Erfahrung nicht nötig
Besonders erstaunlich: Das Einproben von „Hallelujah“ verursacht Gänsehaut und das, obwohl die meisten Teilnehmer vor ihrer Diagnose noch nie in einem professionellen Chor gesungen haben. „Es geht nicht darum, den perfekten Ton zu treffen, sondern um die enthusiastische Stimmung, die wir beim Singen erzeugen“, erklärt Chorleiterin Véronique Coutu dieses Phänomen. Leistungsdruck wird vermieden: „Niemand muss Noten lesen können, niemand muss alleine vorsingen, niemand wird kritisiert.“
Rund 30 Gleichgesinnte sind inzwischen Teil des musikalischen Ensembles. Und bei jeder Probe erleben sie, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine sind und dass sie ihrer Krankheit noch etwas anderes entgegensetzen können als Chemotherapien und Tabletten, nämlich: harmonische Melodien, die sie auch nach der Probe noch glücklich auf dem Heimweg summen und die ihnen Lebensfreude und Optimismus bescheren.