Essen. . Ulrich Borsdorf hat das alte Ruhrlandmuseum geprägt und dem Ruhr Museum Profil gegeben. Nun übergibt er die Leitung an Theo Grütter. Der Historiker und gebürtige Bochumer ist ab Januar offiziell Chef. Als Borsdorf sein Amt antrat, wähnte man Zollverein gewiss nicht als Museums-Standort.

Wenn ein Museumsdirektor ein Vierteljahrhundert einem Haus die Treue hält – und umgekehrt – darf man von einer Ära sprechen. So lange, seit 1986, lenkt Ulrich Borsdorf die Geschicke des alten Ruhrlandmuseums aus dem das heutige Ruhrmuseum auf Zollverein hervorging. Am Wochenende erfolgt die Stabübergabe an seinen designierten Nachfolger und langjährigen Mitarbeiter und Mitstreiter Theodor Heinrich Grütter. Der Historiker und gebürtige Bochumer ist ab Januar offiziell Chef.

Als Borsdorf sein Amt antrat und im gleichen Jahr auf der Zeche Zollverein die letzte Schicht gefahren wurde, dachte niemand daran, dass Essen einmal Standort eines Welterbes sein würde. Und Zollverein? Das wähnte man damals eher unter den abzuwickelnden Orten des Strukturwandels, gewiss nicht als künftigen Museums-Standort.

Sozialgeschichte als komplett neuer Zweig etabliert

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Als der damals 42-jährige Germanist und Historiker Borsdorf (er promovierte bei Hans Mommsen in Bochum) das Haus übernahm, waren zwar die alten Industriellen-Villen an der Bismarckstraße längst abgerissen und die Sammlungen des Ruhrlandmuseums im mittlerweile ebenfalls niedergelegten Neubau von 1984 untergebracht. Dennoch atmete das Haus immer noch etwas von der Atmosphäre jenes „Museums der Stadt Essen für Heimat- und Völkerkunde“, als das es 1911 gegründet wurde.

Borsdorf verpasste dem ehemals klassischen, auf Vor- und Frühgeschichte, Archäologie und Naturkunde konzentrierten Museum einen damals ganz neuen Zweig: die Sozialgeschichte, durchdekliniert am Beispiel Ruhrgebiet. Zum Markenzeichen des Hauses wurden die vier Küchen, die auf einer großen Drehscheibe jeweils ein Viertel des Platzes einnahmen und die dem Betrachter auf einen Blick Vorlieben, politische Haltung und finanzielle Möglichkeiten in verschiedenen Gesellschaftsschichten deutlich machten. Borsdorf liebt solche Aha-Effekte, man kann sagen: Sie wurden seine Spezialität. Viele mochten diese Art der Präsentation, einige Kritiker fanden sie allzu gewollt. Auch in den oft erfolgreichen Sonderausstellungen fand sich diese Handschrift wieder. Um einige zu nennen: „Die Mauern der Stadt“, „Das Jahrtausend der Mönche“, „Krone und Schleier“, „Agatha Christie und der Orient“ und, schon in der Zollverein-Kohlenwäsche, „Gold vor Schwarz“, die Präsentation des Essener Domschatzes.

Portal des Ruhrgebiets

Auf Zollverein gelang der Quantensprung vom städtischen Museum zum großangelegten „Portal des Ruhrgebiets“, wie Borsdorf das neue Haus gerne nennt. Das Land NRW stand hilfreich zur Seite. Aber ohne die Stadt, der nach wie vor die Sammlungen des früheren Ruhrlandmuseums gehören, und ohne die Überführung des alten städtischen Etats von jährlich 2,5 Millionen Euro ins Budget des Ruhr Museum wäre die regionale Lösung nicht möglich gewesen, sekundiert Grütter. „Eine weitere Million kommt vom Land, das hier direkt fördert, was zu den großen Ausnahmen zählt“ sagt Borsdorf. Daneben ist der Landschaftsverband Rheinland mit 1,85 Millionen Euro im Boot.

Blick ins Ruhrmuseum

Auf der 17-Meter-Ebene werden Mythen, Phänomene und Strukturen des gegenwärtigen Ruhrgebietes gezeigt. Dort sind auch aktuelle Bilder aus den Städten zu bewundern. Foto: Kerstin Kokoska
Auf der 17-Meter-Ebene werden Mythen, Phänomene und Strukturen des gegenwärtigen Ruhrgebietes gezeigt. Dort sind auch aktuelle Bilder aus den Städten zu bewundern. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
So klingt der Pott: Wer auf die Bodenplatten tritt, kann hören, wie das Ruhrgebiet klingt. Foto: Kerstin Kokoska
So klingt der Pott: Wer auf die Bodenplatten tritt, kann hören, wie das Ruhrgebiet klingt. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Auch das ist Ruhrgebiet: Ein Teil der Ausstellung zeigt verschiedenste Trophäen. Foto: Kerstin Kokoska
Auch das ist Ruhrgebiet: Ein Teil der Ausstellung zeigt verschiedenste Trophäen. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Große Säulen zeigen das Ruhrgebiet aus einem etwas anderem Blickwinkel. Foto: Kerstin Kokoska
Große Säulen zeigen das Ruhrgebiet aus einem etwas anderem Blickwinkel. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Von einem typischen Schimanski-Trenchcoat... Foto: Kerstin Kokoska
Von einem typischen Schimanski-Trenchcoat... Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
...bis hin zu ungewöhnlichen Funden gibt es dort allerhand Raritäten zu sehen. Foto: Kerstin Kokoska
...bis hin zu ungewöhnlichen Funden gibt es dort allerhand Raritäten zu sehen. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Auf der 12-Meter-Ebene erwarten den Besucher Ausstellungseinheiten zum vorindustriellen Gedächtnis der Region. Von Türgewänden aus Schloss Horst... Foto: Kerstin Kokoska
Auf der 12-Meter-Ebene erwarten den Besucher Ausstellungseinheiten zum vorindustriellen Gedächtnis der Region. Von Türgewänden aus Schloss Horst... Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
über das karolingische Evangeliar aus dem Stift Essen... Foto: Kerstin Kokoska
über das karolingische Evangeliar aus dem Stift Essen... Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
...bis hin zur Sonnenmonstranz aus dem Augustiner-Eremitenkloster Marienthal bei Wesel kommen dort vor allem Geschichts-Fans auf ihre Kosten. Foto: Kerstin Kokoska
...bis hin zur Sonnenmonstranz aus dem Augustiner-Eremitenkloster Marienthal bei Wesel kommen dort vor allem Geschichts-Fans auf ihre Kosten. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Sogar urzeitliche Riesen, die vor Millionen Jahren das Ruhrgebiet besiedelten, finden in der Ausstellung ihren Platz. Foto: Kerstin Kokoska
Sogar urzeitliche Riesen, die vor Millionen Jahren das Ruhrgebiet besiedelten, finden in der Ausstellung ihren Platz. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Auf der Sechs-Meter-Ebene wird die Geschichte des Ruhrgebiets im Industriezeitalter erzählt. Auf Bänken kann man kleine Filme und Fotos an Deckenprojektionen bestaunen. Foto: Kerstin Kokoska
Auf der Sechs-Meter-Ebene wird die Geschichte des Ruhrgebiets im Industriezeitalter erzählt. Auf Bänken kann man kleine Filme und Fotos an Deckenprojektionen bestaunen. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Prägte die Industriekultur: Alfred Krupp (1812-1887). Foto: Kerstin Kokoska
Prägte die Industriekultur: Alfred Krupp (1812-1887). Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Vor allem die beeindruckende Architektur der Kohlewäsche kommt in der Ausstellung zur Geltung. Foto: Kerstin Kokoska
Vor allem die beeindruckende Architektur der Kohlewäsche kommt in der Ausstellung zur Geltung. Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Industriepioniere: Friedrich Harkort (1793-1800). Foto: Kerstin Kokoska
Industriepioniere: Friedrich Harkort (1793-1800). Foto: Kerstin Kokoska © Kerstin Kokoska/WAZ FotoPool
Letzter Schliff im Ruhrmusem: Bevor am Sonntag große Eröffnung gefeiert wird, sind zahlreiche Mitarbeiter mit letzten Feinarbeiten beschäftigt. Foto: Klaus Micke
Letzter Schliff im Ruhrmusem: Bevor am Sonntag große Eröffnung gefeiert wird, sind zahlreiche Mitarbeiter mit letzten Feinarbeiten beschäftigt. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Das Museum soll das historische Gedächtnis der Metropole Ruhr sein. Foto: Klaus Micke
Das Museum soll das historische Gedächtnis der Metropole Ruhr sein. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Rund 6000 Exponate bilden die Dauerausstellung zur Kultur, Natur und Geschichte des Ruhrgebiets. Foto: Klaus Micke
Rund 6000 Exponate bilden die Dauerausstellung zur Kultur, Natur und Geschichte des Ruhrgebiets. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Mit der Eröffnung wird ein zehnjähriger Planungsprozess beendet, an dem hunderte Menschen beteiligt waren. Foto: Klaus Micke
Mit der Eröffnung wird ein zehnjähriger Planungsprozess beendet, an dem hunderte Menschen beteiligt waren. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Die jährlichen Betriebskosten in Höhe von sechs Millionen Euro teilen sich die 2008 gegründete Stiftung Ruhr Museum , der Landschaftsverband Rheinland und das Land NRW. Foto: Klaus Micke
Die jährlichen Betriebskosten in Höhe von sechs Millionen Euro teilen sich die 2008 gegründete Stiftung Ruhr Museum , der Landschaftsverband Rheinland und das Land NRW. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Die Sammlungen des Museum bleiben im Besitz der Stadt Essen. Foto: Klaus Micke
Die Sammlungen des Museum bleiben im Besitz der Stadt Essen. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Das Ruhr-Museum geht zurück auf das 1904 gegründete Ruhrlandmuseum, eines der ältesten und traditionsreichsten Museen des Ruhrgebiets. Foto: Klaus Micke
Das Ruhr-Museum geht zurück auf das 1904 gegründete Ruhrlandmuseum, eines der ältesten und traditionsreichsten Museen des Ruhrgebiets. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Der Ausstellungsrundgang folgt dem ehemaligen Weg der Kohle vom Foyer im Besucherzentrum auf der 24-Meter-Ebene bis in die unteren Etage der Kohlenwäsche. Foto: Klaus Micke
Der Ausstellungsrundgang folgt dem ehemaligen Weg der Kohle vom Foyer im Besucherzentrum auf der 24-Meter-Ebene bis in die unteren Etage der Kohlenwäsche. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Dabei ist die Ausstellung in drei Ebenen unterteilt, die sich jeweils den Bereichen Gegenwart, Gedächtnis und Geschichte widmen. Foto: Klaus Micke
Dabei ist die Ausstellung in drei Ebenen unterteilt, die sich jeweils den Bereichen Gegenwart, Gedächtnis und Geschichte widmen. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Die Ausstellung wird druch  mehr als fünfzig, teilweise interaktive Medienstationen ergänzt. Foto: Klaus Micke
Die Ausstellung wird druch mehr als fünfzig, teilweise interaktive Medienstationen ergänzt. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Auf der 12-Meter-Ebene wird die Geschichte von vormodernen Traditionen und der Industralisierung erzählt. Foto: Klaus Micke
Auf der 12-Meter-Ebene wird die Geschichte von vormodernen Traditionen und der Industralisierung erzählt. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Dort können die Besucher auch typisch Einrichtungsgegenstände aus vergangenen Zeiten bewundern. Foto: Klaus Micke
Dort können die Besucher auch typisch Einrichtungsgegenstände aus vergangenen Zeiten bewundern. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Die Gestaltung der Ausstellung hat das renommierte Stuttgarter Büro HG Merz übernommen, das unter anderem bereits das Mercedes- und das Porsche-Museum in Stuttgart gestaltete. Foto: Klaus Micke
Die Gestaltung der Ausstellung hat das renommierte Stuttgarter Büro HG Merz übernommen, das unter anderem bereits das Mercedes- und das Porsche-Museum in Stuttgart gestaltete. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Sämtliche Industriepioniere des Ruhrgebiets bekommen im neuen Ruhrmuseum ihren Ehrenplatz. Foto: Klaus Micke
Sämtliche Industriepioniere des Ruhrgebiets bekommen im neuen Ruhrmuseum ihren Ehrenplatz. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Neben menschlichen Zeitzeugen der Geschichte... Foto: Klaus Micke
Neben menschlichen Zeitzeugen der Geschichte... Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
...werden auch sämtliche Tiere dargestellt, die jemals die Ruhrregion besiedelt haben. Foto: Klaus Micke
...werden auch sämtliche Tiere dargestellt, die jemals die Ruhrregion besiedelt haben. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
In der archäologischen Abteilung gibt es neben Büsten auch Stücke aus der Varusschlacht zu bewundern. Foto: Klaus Micke
In der archäologischen Abteilung gibt es neben Büsten auch Stücke aus der Varusschlacht zu bewundern. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
Großer Moment: Am Mittwoch wurde das letzte Stück... Foto: Klaus Micke
Großer Moment: Am Mittwoch wurde das letzte Stück... Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
...Kohle eingehoben - der Stoff, dem das Ruhrgebiet seine Popularität zu verdanken hat. Foto: Klaus Micke
...Kohle eingehoben - der Stoff, dem das Ruhrgebiet seine Popularität zu verdanken hat. Foto: Klaus Micke © WAZ FotoPool
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Auch ohne große Sonderausstellung zog es im Jahr zwei nach der Neueröffnung gut 200 000 Besucher ins Ruhr Museum. „Wir sind das einzige Haus, das die Region als ganze reflektiert“, sagt Grütter, der wie Borsdorf einen regionalen Ansatz verfolgt. Anderserseits zeige man ja die gleiche Sammlung wie früher nur in anderer Präsentation. Jetzt seien auch die Ur- und Frühgeschichte stärker vertreten oder römische Funde zu sehen. „Wir empfinden unser Haus nach wie vor auch als Essener Museum“, sagen Borsdorf und Grütter einvernehmlich. Nur, dass es jetzt neben dem Museum Folkwang in der Stadt zwei Museen gebe, die sich auf Augenhöhe begegnen, was nicht immer so gewesen sei. Essen habe jedenfalls gewonnen.

„Nach zehn Jahren muss sich auch eine Dauerausstellung neu aufstellen“

Diesen Erfolgsweg will Theo Grütter ab Januar nun weitergehen. „Natürlich, die Schuhe von Uli Borsdorf sind groß und Erfolg muss man auch verstetigen.“ Man wählte aber bewusst einen Mann aus der „Borsdorf-Schule“, wohl auch, um die Kontinuität sicher zu stellen und nicht gleich „alles wieder umzupflügen“. Dass man die großen Sonderausstellungen für die nächsten fünf Jahre nicht nur durchgeplant sondern bereits durchfinanziert hat, dürfte dabei beruhigend wirken.

Alles fertig also? Überhaupt nicht. „Denn“, so Grütter, „nach zehn Jahren muss sich auch eine Dauerausstellung wie die des Ruhr Museums neu aufstellen.“ Aber davor ist dem Macher und bisherigem Mann fürs Operative nicht bang. Eher schon vor dem Thema Repräsentieren, das Grütters Stärke nicht ist, an dem ein Museumsdirektor nun mal nicht vorbeikommt. Aber man kann ja alles lernen.