Essen. Der junge Tomas Netopil dirigiert Smetanas kompletten Zyklus "Mein Vaterland" in der Essener Philharmonie. Damit gibt der Tscheche einer neuen international aufstrebenden Dirigenten-Generation sein Debüt in der Kulturhauptstadt.
Ganz unbekannt ist Tomás Netopil in der Region nicht mehr. Am Pult der Duisburger Philharmoniker stand er bereits mit Schubert und Bruckner. Jetzt gibt der junge Tscheche einer neuen international aufstrebenden Dirigenten-Generation sein Debüt bei den Essener Philharmonikern. Am Donnerstag und Freitag dirigiert er in der Philharmonie das Schlüsselwerk seiner Heimat, Bedrich Smetanas Tondichtung „Má vlast” („Mein Vaterland”). Und daraus nicht nur den bekannten Schlager „Die Moldau”, sondern den kompletten sechsteiligen Zyklus. Eineinviertel Stunde Musik, ohne störende Pause.
Sie dirigieren heute die tschechische Nationalkomposition schlechthin. Welche Bedeutung hat Smetanas „Mein Vaterland” für Sie?
Tomás Netopil: Nun, Smetana war der beste Komponist Tschechiens der Zeit. Das „Vaterland” ist so etwas wie sein musikalisches Vermächtnis. Zusammen mit dem nationalen Charakter macht das die Stärke des Stücks aus. Es ist zugleich eine Bewunderung des Landes. Obwohl tschechisches Blut immer mitschwingt, ist es kein nationalistisches Stück. Man hört es anders, wenn man die Geschichte kennt. Es ist Programmmusik.
...und ein Stück gängiges Repertoire des 19. Jahrhunderts. Wie sieht für Sie als junger Dirigent das ideale sinfonische Konzertprogramm der Zukunft aus?
Netopil: Das alte Sandwich-Programm mit Aufwärmer, Solostück und großer Sinfonie gehört sicher der Vergangenheit an. Wir müssen versuchen, auch Menschen durch neue Ideen in Konzerte zu bekommen. Ich habe zum Beispiel in Tel Aviv ein Konzert für Teenager gemacht, wo ich Dvoraks Achte mit DJs und deren Musik kombiniert habe. Sowas kann gut funktionieren. Mit zeitgenössischer klassischer Musik ist das schwieriger. Das muss man Schritt für Schritt reintröpfeln lassen. Oder aber gegenüberstellen, wie zum Beispiel eine Passacaglia von Webern mit Bach-Chorälen. Dann kann man Traditionslinien aufzeigen.
"Mit 20 wollte ich nur noch dirigieren"
Sie studierten anfangs Geige. Wann fiel die Entscheidung, Dirigent zu werden?
Netopil: Mit 14 ging ich aufs Konservatorium in Tschechien, gründete ein eigenes Kammerorchester. Später, mit etwa 20, wollte ich dann nur noch dirigieren.
Sie dirigierten das Zürcher Tonhalle Orchester, das der Mailänder Scala, der BBC, in Dresden, Leipzig und London ebenso, wie bei den Münchener Opernfestspielen. Muss man reisen, um berühmt zu werden?
Netopil: Das hilft natürlich und man erweitert das Repertoire, stärkt seine Flexibilität. Ich persönlich brauche die Abwechslung, heute ist das normal. Aber als frischgebackener Musikdirektor am Prager Nationaltheater bin ich mit zwei Opernproduktionen und Konzerten dort regelmäßig präsent. Und die Familie sollte auch nicht zu kurz kommen, ein Balanceakt mit bis zu 150 Auftritten pro Jahr.
Schlägt Ihr Herz eher für die Oper oder das Konzert?
Netopil: Ich möchte beides machen, obwohl ich mich zuerst als Konzertdirigent sehe. Aber die Oper erfrischt immer, auch wenn sie zugleich erschöpft.
Sind Sie Anwalt für das tschechische Repertoire?
Netopil: Ich möchte schon die Musik meiner Heimat im Ausland präsentieren. Es gibt ja auch Dvorak, Martinu, Janacek. Und mit guten Orchestern in akustisch hervorragenden Sälen, wie hier in Essen, ist das eine schöne Aufgabe und simmer eine Herausforderung.