Essen-Werden. Am 24. Juni 1900 wurde die Ev. Kirche Werden eingeweiht. Zum Jubiläum erzählt der frühere Baukirchmeister Conrad Schlimm von seiner Kirche.

Am Johannistag, dem 24. Juni 1900, läuten in Werden seit neun Uhr die Glocken der alten Kirche von 1832. Die Gemeinde singt „Unsern Ausgang segne Gott“ und dann führt Pfarrer Geibel den Festzug die Heckstraße entlang zur neuen Kirche. Mit einer feierlichen Schlüsselübergabe nimmt die aufblühende Evangelische Kirchengemeinde Werden unter Teilnahme vieler Honoratioren und Geistlicher stolz ihr neues Gotteshaus in Besitz.

120 Jahre später steht Conrad Schlimm im imposanten Sakralbau und erzählt: „Regierungsbaumeister August Senz war damals beauftragt mit Restaurierungsarbeiten an der Abteikirche. Die Evangelische Kirchengemeinde nutzte die Gelegenheit und sprach den Architekten an. Senz ging beim Bau der Kirche höchst einfühlsam vor, indem er sie weitestgehend auf die Abteikirche abstimmte. So sind beide Türme gleich hoch und die Glocken wurden in ihrem Klang angepasst.“

Neubau wurde mit Spenden der Tuchmacherfamilien verwirklicht

Conrad Schlimm kennt den Sakralbau in all seinen Facetten und bietet bald wieder Führungen an. Sein Vater war ebenfalls Baukirchmeister.
Conrad Schlimm kennt den Sakralbau in all seinen Facetten und bietet bald wieder Führungen an. Sein Vater war ebenfalls Baukirchmeister. © Julia Tillmann

Werden war damals eine selbstständige, reiche und selbstbewusste Stadt. Der Neubau entstand aus Spenden der am Ort ansässigen evangelischen Tuchmacherfamilien Forstmann, Feulgen, Huffmann und Teschemacher.

Auch die Familie Krupp trug kräftig zum Entstehen bei. Für sie war es „ihre“ Kirche, und ihre Kinder wurden hier konfirmiert. Conrad Schlimm: „Die Villa Hügel gehört heute noch zu unserer Kirchengemeinde.“

Enttäuschung über eine prächtige Altarbibel

Kaiserin Auguste Viktoria stiftete zur Einweihung der Werdener Kirche eine prächtige Altarbibel. Baukirchmeister Schlimm berichtet darüber heute doch etwas desillusioniert: „Was habe ich diese Bibel verehrt. Doch in einer Ausstellung in Wuppertal sah ich exakt die gleiche.“ Ihm wurde dann berichtet, dass es insgesamt 24.000 Stück von dieser Bibel gab. „Zu dieser Zeit wurden nämlich überall neue Kirchen gebaut. Ich liebe diese Bibel trotzdem.“

Die prächtige Altarbibel hat sich leider nicht als Unikat erwiesen.
Die prächtige Altarbibel hat sich leider nicht als Unikat erwiesen. © Julia Tillmann

Was ist seine älteste Erinnerung an diesen Sakralbau? Der Kindergottesdienst an Weihnachten 1945: „Da war ich gerade mal sechs Jahre alt. Wir bekamen eine Tafel amerikanischer Schokolade geschenkt und ein holzgebranntes Bild mit frommem Spruch. Komisch, das fällt mir immer ein, wenn ich hier bin. Ich habe viele schöne Erinnerungen an diese Kirche.“

In den Fußstapfen des Vaters als Baukirchmeister

Viel später wurde Conrad Schlimm Baukirchmeister und trat damit in die Fußstapfen des Vaters. Reinhold Schlimm war nämlich der erste Kirchmeister nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Sohn verdreht die Augen: „Immer im Stresemann und mit grimmigen Blick.“

Für Conrad Schlimm ist das Gebäude ein Stück weit auch „seine“ Kirche. Vor Corona bot er Führungen an: „Zu den musikalischen, kirchlichen oder architektonischen Aspekten gibt es so viel zu sagen.“

Aus den Glocken und den Orgelpfeifen wurde im Krieg Munition

Ziemlich bewegte Zeiten hat das Gotteshaus erlebt. Als beispielsweise im Kriegsjahr 1916 das Metall für Munition knapp wurde, mussten die Glocken und alle 2492 Pfeifen der Orgel hergegeben werden. Der Erste Weltkrieg forderte den Tod von 123 Gemeindegliedern.

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Die Kirche ist ein markantes Wahrzeichen an der Heckstraße.
Die Kirche ist ein markantes Wahrzeichen an der Heckstraße. © Julia Tillmann

ie 1930er Jahre kamen und damit die Zeit des Nationalsozialismus. Nicht wenige Werdener traten der NSDAP bei. In der Kirche machten sich die rassistischen und antisemitischen „Deutschen Christen“ breit. Conrad Schlimm wird nachdenklich: „Ein Pfarrer im Braunhemd und mit Hakenkreuzbinde gab von der Kanzel Dinge von sich, die nicht zu ertragen waren.“

Gemeinde wurde in der Zeit des Nationalsozialismus gespalten

So wurde die Gemeinde gespalten in Deutsche Christen und eine tapfere Restgemeinde. Andere hielten es nicht aus und gingen zur Bekennenden Kirche in den Untergrund. Mit dabei Schlimms Vater Reinhold.

Noch in den letzten Kriegstagen kletterten fanatisierte Hitlerjungen mit einem Maschinengewehr in den Kirchturm, wurden aber bald wieder herunter geholt. Die Amerikaner bereiteten dem Nazi-Spuk ein Ende und Mitglieder der Bekennenden Kirche schufen neue Gemeindestrukturen.

Zum 100. Geburtstag wurde die Kirche in ihren Originalzustand versetzt

Die Fenster waren im Krieg zerstört worden, nur die der Schwingtüren sind noch im Original erhalten. Das Altarfenster zeigt mehrere Kreuzesformen und erinnert an den ersten Kirchentag nach dem Krieg, als der Hauptgottesdienst in Werden gefeiert wurde.

In den Wirtschaftswunderjahren investierte die Gemeinde viel in das Geburtstagskind. Doch Mitte der 1950er Jahre wurde mehr auf den Erhalt des Gebäudes als auf seine ursprüngliche Ausstattung geachtet. Erst zum hundertsten Geburtstag wurde die Kirche wieder in ihren Originalzustand von 1900 versetzt.

Die Walcker-Orgel muss restauriert werden – das ist teuer

Stilformen der deutschen Renaissance zeigen sich an den Säulen.
Stilformen der deutschen Renaissance zeigen sich an den Säulen. © Julia Tillmann

Die berühmte Walcker-Orgel ist genauso alt. Das romantisch gestimmte Instrument hebt sich ab von den vielen barocken Orgeln: „Professor Gerd Zacher hat diese Orgel geliebt.“ Doch die Klimaschwankungen bereiten ihr extreme Probleme, auch hat sie schlimmen Schimmelbefall, der intensiv behandelt werden muss.

Um sie und ihre in Teilen filigrane pneumatische Traktur wieder auf Vordermann zu bringen, muss die unter Denkmalschutz stehende Orgel komplett auseinander genommen werden. Das kostet. Aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm des Bundes kommen 50.000 Euro; der Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer hatte sich für das Projekt eingesetzt.

Förderverein kümmert sich um Erhalt des denkmalgeschützten Gebäudes

Auch die Stiftung Orgelklang stellt Gelder zur Verfügung. Noch ist die nötige Gesamtsumme nicht ganz erreicht. Conrad Schlimm lächelt: „Auch wenn wir coronabedingt das Jubiläum nicht feiern werden, können interessierte Bürger dem Geburtstagskind mit einer Spende zur Instandsetzung der Orgel doch ein Geschenk machen.“

Weitere Spenden sind gerne willkommen

Die Einnahmen des Fördervereins Evangelische Kirche Werden bestehen aus Mitgliedsbeiträgen, Eintrittsgeldern und Spenden. Wer spenden möchte, ist herzlich willkommen. Informationen dazu gibt es auf der Homepage fv-kirche-werden.de.

Wenn gewünscht, gibt es eine steuerlich einsetzbare Spendenbescheinigung.

Seit 1985 gibt es den Förderverein Evangelische Kirche Werden. Vorsitzende des Fördervereins ist Sabine Mika. Sie und ihre Mitstreiter kümmern sich um die Erhaltung des denkmalgeschützten Gebäudes und seiner Orgeln sowie die Förderung der Kirchen­musik.

Die Walcker-Orgel ist der Star des musikalischen Gemeindelebens

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Die Walcker-Orgel ist unbestrittener Star des regen musikalischen Gemeindelebens, ihr zu Ehren wurde vom Förderverein die beliebte „Werdener Orgelnacht“ erfunden. Diese kann in diesem Jahr nun leider nicht stattfinden. Eine Verschiebung in die zweite Jahreshälfte ist nicht möglich: Ab September wird das Instrument dann endlich saniert. Trotzdem sind die Förderer guten Mutes, für die zweite Jahreshälfte ein attraktives Programm präsentieren zu können.

Die Reihe „Orgelmusik zur Marktzeit“ trägt ihren Teil dazu bei. Nach den Pandemie-Lockerungen darf sie wieder stattfinden. Der nächste Termin ist am Samstag, 4. Juli. Um 11.15 Uhr greift Jürgen Kursawa in die Tasten. Der Eintritt in das ehrwürdige Gotteshaus ist wie immer frei.

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