Essen. Ab Montag muss sich der frühere Essener Transplantationschirurg Christoph Broelsch vor Gericht verantworten. Bestechlichkeit, Betrug und Steuerhinterziehung werden ihm vorgeworfen. Der Professor soll Kassenpatienten Operationen gegen Bares angeboten haben.

Eigentlich ist es ein Strafverfahren wie jedes andere, das vor einer Wirtschaftsstrafkammer landet. Rechtlich ein wenig kompliziert, viele Zahlenkolonnen und der Angeklagte sitzt im Anzug vor Gericht. Eigentlich. Doch was sich ab Montag an zunächst 22 Prozesstagen im Saal 101 des Landgerichts Essen abspielen wird, sprengt bisherige Dimensionen. Mit dem Düsseldorfer „Prof. Dr. med. Dr. hc. mult. Christoph Broelsch” (65) wird sich ein Starchirurg der irdischen Gerechtigkeit stellen, der für sich selbst hohe moralische Ansprüche ins Feld führt. Ein „Halbgott in Weiß“, dem die Staatsanwaltschaft schlicht „Geldgier“ unterstellt.

Weist die Vorwürfe zurück: Chirurg Christoph Broelsch. Foto: Kerstin Kokoska
Weist die Vorwürfe zurück: Chirurg Christoph Broelsch. Foto: Kerstin Kokoska © WAZ

Seit dem Frühjahr 2007 gilt der ehemalige Transplantationsexperte des Essener Universitätsklinikums als zumindest umstrittene Person. Damals wurden Vorwürfe von Patienten laut, er setze sie unter Druck, verlange für eine lebensnotwendige Operation Bares. Bis zu 22 000 Euro sollten Kassenpatienten zahlen, damit der Herr Professor persönlich ihnen eine Leber transplantiere. Juristisch ging alles seinen Weg: Staatsanwalt Hans-Joachim Koch, Leiter des Wirtschaftsdezernates, ermittelte. Schließlich warf er Broelsch in seiner 99 Seiten starken Anklageschrift im Oktober 2008 Straftaten in 50 Fällen vor. Im März legte er mit einer zweiten Anklage und 27 weiteren Fällen nach. Immer geht es um die angeblich erzwungenen „Spenden“ von Patienten, aber auch um Betrug oder Steuerhinterziehung. Bestechlichkeit, räuberische Erpressung: Die strafrechtlichen Wertungen hörten sich nicht gut an für einen Mediziner.

Broelsch (r.) im Juli 2004 bei der Eröffnung des Hundertwasser-Hauses in der Gruga im Gespräch mit Boxer Henry Maske und Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger. Foto: Frank Vinken
Broelsch (r.) im Juli 2004 bei der Eröffnung des Hundertwasser-Hauses in der Gruga im Gespräch mit Boxer Henry Maske und Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger. Foto: Frank Vinken © frank vinken / waz

Broelschs Anwälte hielten dagegen: Die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage. Der renommierte Frankfurter Verteidiger Rainer Hamm, selbst Professor und Doktor: „Die Staatsanwaltschaft unternimmt den Versuch, die Verdienste und die Lebensleistung eines weltweit angesehenen Chirurgen zu kriminalisieren.“ Tatsächlich habe Broelsch Gelder nicht für sich, sondern für die Forschung „eingeworben“. Erpresst habe er Geld nie: „Dies würde seinem Selbstverständnis als Arzt zutiefst widersprechen.“

Vorwürfe entfielen

Die XXI. Strafkammer unter Richter Wolfgang Schmidt ließ die Anklage tatsächlich nur zum Teil zur Hauptverhandlung zu. Mancher Vorwurf fiel weg, anderes wurde rechtlich anders gesehen; etwa die räuberische Erpressung. Was übrig blieb, reicht immer noch.

Prominente Unterstützung

Doch neben diesen rechtlichen Routineschritten läuft eine Gegenkampagne ab, die Angeklagten sonst fremd bleibt. Vor allem der Münsteraner Gitarrist Ulrich Coppel scharrt im Internet (www.ulrich-coppel.de) einen Broelsch-Fankreis um sich. Ministerialrat, Internist, Finanzrichter – ehrenwerte Menschen sind es, die gegen das vermeintliche Unrecht zu Felde ziehen, das Broelsch widerfährt. Und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) soll sich 2007 bei NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) für den Essener Chirurgen eingesetzt haben, indem er sich gegen dessen Suspendierung aussprach. Broelsch selbst hatte sich zu Beginn der Ermittlungen als Anwalt der kleinen Leute ausgegeben. Vom Kassenpatienten „Kumpel Anton“ sprach er, dem er mit unkonventionellen Spenden helfe. Auf seine christliche Basis verwies er.

Ein "chicago boy"

„Im menschlichen Umgang angenehm, aber eine dominierende Persönlichkeit“, beschreibt ihn ein Mediziner, der ihn vor Jahren kennen lernte. Unter Chirurgen gilt Broelsch als hemdsärmeliger „chicago boy“. Das spielt auf die führende Rolle der Uniklinik in Chicago an, zu der in den 80er Jahren fast alle deutschen Kliniken ihre Transplantationschirurgen schickten. Pioniere waren sie. Broelsch war es, dem dort 1989 weltweit führend die Übertragung des Leberlappens einer Mutter auf ihr krankes Kind gelang. 45 Jahre alt war er damals, ließ sich gerne damit zitieren, dass er im OP Rockmusik einspielen ließ, als der schwierige Teil des Eingriffs geglückt war.

"Lebensfreude vermitteln"

Der Jubel war groß, als er im Januar 1998 zum Essener Uniklinikum ging. Als Zigarrenraucher zeigte er sich, voll Selbstzufriedenheit. Ihm sei das Wichtigste, „Lebensfreude zu vermitteln“, sagte er damals. Doch immer wieder wurden auch Vorwürfe laut, er handele am Gesetz vorbei, verstoße gegen ethische Regeln der Transplantation. „Ethisch hat er sich nicht so den Kopf gemacht“, schätzt ihn ein früherer Kollege ein, „er war eher Macher als Denker. Eben ein typischer Chirurg, nicht so zögerlich.“ Ab Montag wird der Chirurg Broelsch seine Erfahrungen mit den Juristen machen. Die denken bekanntlich sehr zögerlich, bevor sie nicht weniger einschneidend entscheiden.

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