Essen. Immer häufiger übernachten Zuwanderer auf den wärmenden U-Bahnschächten am Eingang des Essener Hauptbahnhofs. Einige Passanten bemitleiden die Obdachlosen, einige Passanten ärgern sich über sie. Der Bahn sind die Hände gebunden: Das Lager liegt auf städtischem Boden.

Ein Mann liegt mutterseelenallein vor dem Südeingang des Hauptbahnhofs. Er schläft fest. Es ist schon kurz vor elf und Scharen von Passanten hasten eilig an dem unbekannten Obachlosen vorbei. Der wohlig warme Luftstrom, der aus dem Rost des U-Bahnschachtes aufsteigt, bläst seinen verdreckten, dunkelblauen Schlafsack auf wie einen Ballon. Es ist ein trostloser Anblick, der in einigen Passanten Mitleid weckt, bei den allermeisten hingegen kalte Wut. „Unmöglich“, sagt ein älterer Herr, der innehält und den Kopf schüttelt. Ein Uniformierter vom Evag-Sicherheitsdienst zuckt ratlos die Achseln. „Wir können nichts dagegen machen, auch die Polizei ist machtlos.“ Ein anderer, zutiefst besorgter Passant ordnet die Lage ziemlich falsch ein und fragt den Evag-Mann: „Sollen wir einen Krankenwagen anfordern?“.

Um die Ecke, direkt vor dem modernen Evag-Kundencenter zum Busbahnhof hin, bietet das breite Vordach reichlich Schutz vor Regen. Weil auch hier ein satter warmer Luftstrom aus dem Untergrund nach oben dringt, nimmt das Schlafsack-Lager bisweilen beachtliche Ausmaße an. Weitere Obdachlose haben hier schon seit Tagen eine einigermaßen feste Bleibe gefunden. Turnschuhe stehen neben pinkfarbenen Chucks, angebrochene Bierflaschen neben Lebensmittel-Tüten und Müll. Zeugen berichten, dass am Samstag gegen 14 Uhr sechs Leute auf der „Fußbodenheizung“ saßen.

Ungemütlich gewordener Ort

Eine ältere WAZ-Leserin passiert den ungemütlich gewordenen Ort beinahe täglich. „Wenn ich mittags um zwölf vorbeigehe, schläft noch alles“, berichtet sie. „Um 14 Uhr war ich auf dem Heimweg und sah sie frühstücken. Manchmal zanken sie sich auch.“

„Wir finden das sehr ärgerlich“, kommentiert ein Bahnsprecher das Schlafsack-Lager über den U-Bahnschächten. Auch dem Bahnhofsmanager sei es längst ein Dorn im Auge. Der renovierte Hauptbahnhof mit der schicken Ladenzeile will Visitenkarte der Einkaufsstadt sein. Und nicht Schandfleck. „Aber uns sind die Hände gebunden“, fügt der DB-Sprecher hinzu. Das Lager befinde sich nämlich auf städtischem Gelände.

Platz von Unrat befreien

[kein Linktext vorhanden]Dürfen Obdachlose auf den wärmenden U-Bahnschächten überhaupt Quartier beziehen? Würden sie nur nachts ihr Lager aufschlagen und tagsüber den Platz artig räumen, so die wohlwollende Einstellung der Stadt, dann sei ihre Anwesenheit unter Bauchschmerzen zu dulden. Am Montagmorgen hingegen riss im Rathaus der Geduldsfaden. Drei Mitarbeiter des Ordnungsamtes erteilten den aus Südosteuropa stammenden Obdachlosen energisch einen Platzverweis. Ehe sie von dannen zogen, mussten sie den Platz von reichlich Unrat befreien.